Charlotte Rogan
Aus dem Amerikanischen übersetzt von Alexandra Ernst
script 5, September 2013
336 Seiten, € 18,95
ab 16 Jahre
Inhalt:
Zwei Jahre nach dem Untergang der Titanic versinkt 1914 nach einer geheimnisvollen Explosion das Schiff Zarin Alexandra auf der Fahrt von Europa nach Amerika. Die zweiundzwanzig Jahre alte Grace Winter war mit ihrem frisch verheirateten Mann Henry auf diesem Schiff und gehört zu den wenigen Überlebenden. Mit knapp 40 anderen hat sie einen Platz in einem der wenigen und völlig überladenen Rettungsboote gefunden. Mr. Hardie, ein Schiffsoffizier der Zarin Alexandra, befindet sich ebenfalls auf diesem kleinen Boot und übernimmt die Führung. Die Hoffnung, die er den anderen auf baldige Rettung macht, schwindet von Tag zu Tag. Gleichzeitig wird die Not immer größer, die Vorräte an Nahrung und Trinkwasser werden immer knapper, die Atmosphäre an Bord immer aggressiver und bedrohlicher. Als Mr Hardie die Anweisung gibt, dass sich Freiwillige opfern müssen, von Bord zu gehen, da sie sonst bei einem herannahenden Sturm alle drohen unter zu gehen, gerät der ohnehin schon durch Misstrauen geprägte Zusammenhalt der Schiffbrüchigen an ihre Grenzen. Wer soll sich freiwillig opfern – die Schwachen, damit die Starken überleben können?
Rezension:
script 5 gibt es seit 2009 und richtet sich mit seinem interessanten und erfolgreichen Belletristik-Programm an die Lesergruppe der älteren Jugendlichen bzw. (jungen) Erwachsenen. Vielleicht liegt es daran, dass der Unterverlag als Imprint von Loewe bei einigen Buchhändlern noch nicht wirklich entdeckt und präsentiert wird, was sich hoffentlich am Beispiel dieses Buches ändern wird.
Wer ein reißerisch, lautes Buch à la der „Titanic“-Unterganggeschichte erwartet, der wird sicher enttäuscht werden. Es ist vielmehr ein leiser Roman, der mit psychologischem Feingefühl die Personen von innen ausleuchtet, die sich ihrem Überlebenskampf auf einem völlig überfüllten Rettungsboot stellen müssen.
Dramaturgisch raffiniert ist die Geschichte in einem Gerichtsprozess eingebettet, der die eigentliche Geschichte während der Zeit auf dem Rettungsboot einrahmt. Damit wird bereits am Anfang verraten, dass Grace gerettet wird, denn sie wird mit anderen beschuldigt, eine Person vom Boot gestoßen zu haben.
Zwischen dem Gerichtsprozess am Anfang und Ende des Buches erzählt Grace aus ihren Erinnerungen von der dramatischen Zeit auf dem kleinen und völlig überfüllten Boot. Es braucht am Anfang etwas Geduld, bis man zu der kühlen und distanziert sprechenden Protagonistin eine Beziehung aufgebaut hat. Sie entblättert sich im Laufe der Handlung aber zu einer schillernden, doppeldeutigen, aber auch couragierten jungen Frau mit einem starken (Überlebens-)Willen. Sie zeigt tiefgründig, wie schmal der Grat der eigenen Wahrnehmung zur Selbsttäuschung sein kann.
Mit ihren Rückblicken, die auch Längen und hin und wieder zeitlich versetzte Gedankensprünge beinhalten, taucht man in eine intensive Atmosphäre einer gewaltigen Entwicklung auf dem Rettungsboot ein. Der Leser wird kein exzessiv brutales Szenario lesen, es ist vielmehr kammerspielartiges Beispiel dafür, wie verschiedene ambivalente Figuren in einer lebensbedrohlichen Ausnahmesituation mit existentiellen Überlebensfragen umgehen. Bei der Frage, wie sich Menschen in einer solchen Situation verändern, geht es um Macht, Abhängigkeit, Manipulation und Verantwortung sich selbst und anderen gegenüber. Dabei spitzt sich die psychologisch aufgebaute Spannung in einer bedrückenden, ja schon fast gruseligen Atmosphäre zu, so dass man das Buch tatsächlich irgendwann nur noch ungern aus der Hand legt.
Aus dem Amerikanischen übersetzt hat Alexandra Ernst den Roman. Wenn man sich auf die etwas spröde, distanzierte Sprache von Grace eingelassen hat, wird man einen atmosphärisch intensiven und dramatischen Überlebenskampf erleben, der sich mit vielen existentiellen Fragen nachhallend auseinander setzt.
Stimmungsvoll und in jedem Fall ein Blickfang ist das gelungene Cover.
„In einem Boot“ stand wochenlang auf der New-York-Times Bestsellerliste und wird auch in Deutschland wahrscheinlich eher Erwachsene ansprechen als Jugendliche. Die Filmrechte des Buches sind mittlerweile verkauft, Anne Hathaway wird den Film produzieren und auch die Hauptrolle der Grace Winter spielen.
Sabine Hoß
Bewertung: