Heike Eva Schmidt
Ueberreuter, März 2013
352 Seiten, € 12,95
ab 12 Jahre
Die sechzehn Jahre alte Feline ist völlig genervt: Seitdem ihre Mutter vor mehr als einem Jahr durch einen Verkehrsunfall gestorben ist, gibt es zu Hause mit ihrem Vater nur Dauerzoff. Der hat sich ziemlich schnell mit einer wesentlich jüngeren Freundin getröstet, die ebenso schnell bei ihnen eingezogen ist und zudem jetzt noch ein Kind erwartet.
Felines Vater fordert von seiner Tochter mehr Verständnis und Respekt und in der Schule bessere Leistungen. Leider vergisst er dabei, auch auf die Gefühle von Feline Rücksicht zu nehmen und bemüht sich nicht, ihr ein Schritt entgegen zu kommen. Kein Wunder, dass Feline zornig ist und nur selten nach Hause geht. Einen feste Clique hat sie nicht, nur ihr Klassenkamerad Nick bemüht sich um sie, was Feline allerdings ebenfalls nervt, denn sie kann dem Humor und der Art ihres Mitschülers nicht viel abgewinnen.
Als sie eines Tages im Park auf eine Gruppe Jugendlicher in flippiger Hippiekleidung trifft, die selbstgebastelten Schmuck, Töpfersachen und Lebensmittel aus eigenem Anbau verkaufen, lernt sie den gutaussehenden, charmanten Zeno kennen. Er erzählt ihr von der Kommune, die hundert Kilometer entfernt im Spreewald lebt. Sie bilden dort ihre eigene, friedliche Gemeinschaft und bauen alles an, was sie zum unabhängigen Leben brauchen. Feline ist fasziniert von Zeno – und von der Erzählungen über das Leben in der Kommune. Beim nächsten Wiedersehen haut sie von zu Hause ab und geht mit Zeno und den anderen in den Spreewald.
Dort wird sie freundlich und schnell von den anderen in der Oase aufgenommen und direkt in das Leben und vor allem Arbeiten der Kommune integriert. Denn bei aller Unabhängigkeit gibt es hier strenge Regeln, die von harter Arbeit, wenig Schlaf und kargen, eintönigen Mahlzeiten geprägt sind. Feline hadert unter diesen Bedingungen, die aber alle anderen Oasenmitglieder klaglos und ohne Diskussion so hinnehmen. So reißt sie sich zusammen, schließlich will sie Zeno nicht enttäuschen, in den sie sich nämlich unsterblich verliebt hat. Doch sie scheint nicht die Einzige zu sein, die auf den Führer der Kommune steht, auch die blondgelockte Mia hat ein Auge auf Zeno geworfen und reagiert offen eifersüchtig gegenüber Felines Schmachten. Aber Feline nimmt auch das in Kauf, das Leben in der Kommune mit Zeno ist trotz allem immer noch besser als der Gedanke, wieder nach Hause zu ihrem Vater und der schwangeren Freundin zurückzukehren. Bis Feline eines Tages eine furchtbare Entdeckung macht und sie ganz langsam einzelne Puzzlesteine zusammensetzt und wie aus einer Trance erwacht. Als sie Widerstand versucht, muss sie erleben, dass Zeno zwei Gesichter hat. Welchen Wert hat diese Gemeinschaft und wie wahrhaftig ist Zenos Liebe ihr gegenüber wirklich?
Heike Eva Schmidt ist eine vielseitige Autorin, die sich in keine Genre-Schublade einordnen lässt: Fantasy, Historisches und real kritische Themen weiß sie in einer lockeren und dennoch niveauvollen Sprache spannend zu erzählen.
In diesem Roman wendet sie sich dem brisanten Thema von Verlust der Selbstbestimmung durch Verführung in eine Sekte zu. Die Gefahr liegt nahe bei einer so heiklen und wuchtigen Problematik, dass sie mit einem moralischen Finger und etwas oberlehrerhaft rüberkommt. Doch genau dem entgeht Heike Eva Schmidt sehr gekonnt. Ihr gelingt das zum einen mit einer lebendigen, natürlichen Sprache, die jedoch keinesfalls anbiedernd jugendlich oder flapsig oberflächlich wirkt. Die zornige, aufgewühlte jugendliche Feline, erzählt aus ihrer Sicht ihre Geschichte, wie sich ihr Familienleben auflöst, als ihre Mutter plötzlich stirbt und sie verzweifelt Verständnis, Halt und Geborgenheit sucht und dabei auf die Kommune stößt. Mit simplen Dingen fängt die Sekte Feline ein: Zuhören und Verständnis zeigen, garniert mit sozial- und gesellschaftlicher Kritik.
Die Autorin schreibt auf Augenhöhe der jungen Leser und als älterer Leser oder Elternteil pubertierender Jugendlicher erinnert man sich wieder daran, wie es „damals“ mit dem eigenen rebellischen Gefühlschaos gewesen ist. Zum anderen sind es authentische Figuren, in die der Leser sich mühelos hineinversetzen kann. Sensibel und hintergründig seziert Schmidt die Manipulationsmethoden der Sektengemeinschaft. Hinter dem vermeintlichen Gemeinschaftsgefühl „wir sind alle gleich und besser als die da draußen“ steckt perfider Druck und seelische Ausbeutung. Dabei wird ganz klar, dass die Jugendlichen diese Methoden und Zeno als Leitfigur nie in Frage stellen. Die Spannung baut sich sachte ansteigend auf, wobei man spätestens ab der Stelle, als Feline eine grausame Entdeckung in einem Moorteich macht, das Buch am liebsten gar nicht mehr aus der Hand legen möchte.
Was mir ebenfalls sehr gut gefallen hat, ist das Ende der Geschichte. Es gibt kein „klassisches“ Happy End, in dem Feline erkennt, dass es zuhause doch am besten und schönsten ist. Die Autorin wählt einen klugen anderen Weg, der gerade deswegen ein ehrliches und realistisches „happy“ End zeigt. Außerdem macht sie durch die Eltern der verstorbenen Mia deutlich, wie schnell auch scheinbar selbstbewusste Menschen sich durch bestimmte Mechanismen und Argumente in die Fremdbestimmung verführen lassen. Das geschieht oft so schnell, dass selbst liebende Eltern es zu spät bemerken.
Auch mit diesem spannend und gut erzähltem sozialkritischen Thema überzeugt Heike Eva Schmidt. Ein Roman, der für Jugendliche wie Erwachsene empfehlenswert ist.
Das Cover? Mir persönlich ist die weiße Seerose eine Spur zu kitschig und die aufdringlichen Blutspritzer auf der Rückseite passen weder zum Thema (auch wenn es ein Thriller ist) und noch weniger zur psychologisch spannend geschriebenen Geschichte.
Sabine Hoß
Bewertung:
Ein Interview mit der Autorin findet Ihr hier: