Interview mit Andrea Sawatzki

Am 11. Juni machte Andrea Sawatzki auf ihrer Lesetournee ihres Debütromans „Ein allzu braves Mädchen“ im Forum der Mayerschen Buchhandlung in Aachen Station. Nach der Lesung nahm sich die bekannte Schauspielerin, Hörbuchsprecherin und Autorin  noch Zeit für ein ausführliches Interview für „Bücher leben!“

Andrea Sawatzki in Aachen (Foto (c) Sabine Hoß)

Andrea Sawatzki in Aachen (Foto (c) Sabine Hoß)

 

Als Schauspielerin kann man sich bei schlechten Kritiken hinter einer schwachen Regie oder einem schlechten Drehbuch stellen.

Bei einem Buch sieht das anders aus, hier ist die Beziehung zwischen Autor, seinem Werk – und der Kritik enger, persönlicher.

Wie gehen Sie hier mit Kritik um?

Andrea Sawatzki:

Ich lese gar nicht alle. Prinzipiell würde ich sagen, dass mich Kritiken nicht wesentlich interessieren. Mich freut  eher der Erfolg, den ein Film oder ein Buch hat.

Lassen Sie negative Kritik an sich heran?

Andrea Sawatzki:

Wie gesagt, ich komme in den seltensten Fällen mit ihnen in Berührung.

Sie selber haben bei der Veröffentlichung Ihres Buches bekanntgegeben, dass dieser Roman geprägt ist durch die Tatsache, dass Sie – wie die Romanfigur – als 8-jährige fünf Jahre lang ihren an Demenz erkrankten und bis dahin unbekannten Vater gepflegt haben.

Aufgrund dieser Tatsache werden oft spekulative Parallelen zu ihrer eigenen Kindheit und ihrem Leben gezogen – Und immer wieder müssen Sie diese Vermischungen korrigieren und richtig stellen.

Ärgert Sie das oder können Sie das mit Abstand, bestenfalls mit Humor betrachten?

Andrea Sawatzki:

Ich denke, dass es allen Menschen so geht, die Romane schreiben, dass sie grundsätzlich gefragt werden, was ist davon selbst erlebt und was ist Fiktion. Natürlich schreibt man auch aus eigenen Erfahrungen, man schreibt Bilder nieder, die sich im Kopf festgesetzt haben und trotzdem wird die Wahrheit nie die Wahrheit sein, die man wirklich erlebt hat. Insofern kann ich diese Vermischungen von außen mit gutem Abstand hinnehmen, weil ich weiß, dass es nicht so wirklich war. Die Erfahrung, die ich gemacht habe mit dieser Krankheit, für die bin ich dankbar. Ich frage mich aber schon manchmal, was die Menschen wirklich in einem sehen wollen? Was würde es verändern oder inwiefern würde es den Blick auf mich verändern, wenn ich sagen würde, ja, das war ich und das habe ich alles so erlebt?

Wenn man im Alter von acht Jahren fünf Jahre lang seinen demenzkranken Vater mit pflegt, ist das eine einschneidende Zeit.

Was hat Sie aus der Zeit besonders geprägt, dass auch Ihr weiteres Leben begleitet, beeinflusst hat?

Andrea Sawatzki:

Da kann ich nur in der Rolle der Romanfigur Manuela Scriba sprechen. Eine solche Erfahrung hat in ihrem Fall natürlich dazu beigetragen, dass sie sich extrem verändert hat. Sie hat eine Verletzung erfahren, die  in gewisser Weise auch die Kindheit zerstörte und sie sehr lange gebraucht hat, um auf ihrem Lebensweg wieder Fuß zu fassen. Ob sie das letztendlich durchstehen wird, bleibt zu hoffen. Das verrate ich natürlich nicht..

Wie haben Sie sich Ihre Freiheit zurückgeholt, nachdem Ihr Vater verstorben ist, als Sie 14 Jahre alt waren?

Andrea Sawatzki:

Das möchte ich nicht beantworten, das ist zu privat.

Gab es einen bestimmten Punkt in Ihrem Leben, einen Wendepunkt vielleicht, der Ihnen das Schreiben dieses Buches und vielleicht andere bis dahin verborgene Talente ermöglicht hat?

Andrea Sawatzki:

Ich glaube, bei mir liegt es daran, dass ich im Grunde ein neugieriger Mensch bin und das ich schon versuche, das Leben als Geschenk zu sehen. Ich versuche, so viel wie möglich aus meinem Leben zu machen. Es schwelte schon lange der Wunsch in mir zu schreiben und offensichtlich war die Zeit nun reif dafür. Dadurch haben sich viele andere Sachen, wie meine Band, ergeben. Entweder packt man es dann an oder es geht vorbei.

Blicken Sie gerne in Ihre Vergangenheit zurück oder leben sie lieber und bewusster in der Gegenwart?

Andrea Sawatzki:

Ich denke nicht so gerne an die Vergangenheit, ich lebe lieber und bewusst im Hier und Jetzt. Ich schaue auch nicht so gerne in die Zukunft, was vielleicht auch mit meinen 50ig Jahren zusammenhängt, denn man sieht irgendwie auch eine Endlichkeit.

Haben Sie durch Ihre eigenen prägenden Erlebnisse ein Lebensmotto für sich gefunden?

Andrea Sawatzki:

„Carpe diem“ – Pflücke den Tag.

Ihre Romanfigur erzählt an einer Stelle, dass sie mit ihren Eltern jeden Sonntag in die Kirche gegangen.

Sind Sie selber gläubig? Hat die Institution Kirche für Sie eine Bedeutung?

Andrea Sawatzki:

Ja, ich bin auf jeden Fall gläubig, aber ich bin keine Kirchgängerin.

Ihre Protagonistin Manuela Scriba hat keinen Halt in ihrer Familie gefunden.

Welche Bedeutung hat Familie, ihre Familie für Sie?

Andrea Sawatzki:

Mit einem, kurzen Wort: Alles.

Es gibt einen Satz in ihrem Buch, in dem es um den Akt des Verzeihens geht:

„Verzeihen zu können, egal ob sich selbst oder anderen, ist so unglaublich schwer. Aber wenn es gelingt, bricht der Himmel auf, und es wird hell und warm.“

Das ist ein schöner und kluger Satz.

Glauben Sie, dass es dennoch Verhaltensweisen von Eltern gegenüber ihren Kindern –und natürlich auch umgekehrt – gibt, die nicht verzeihbar sind?

Andrea Sawatzki:

Das gibt es wahrscheinlich schon, wenn beide Seiten unfähig sind, sich aufeinander einzulassen. Vieles lässt sich schon dadurch verstehen, indem man versucht, sich in das Gegenüber hineinzuversetzen. Es ist auch eine Frage der Vorbelastung der Eltern, wie z.B. die Kindheit der eigenen Eltern. Wenn man das beleuchtet, lässt sich vieles innerhalb einer Familie nachvollziehen. Es geht dann auch gar nicht darum, dass man sich irgendwann um den Hals fällt und alles verzeiht. Es geht darum, das Leben und die Entscheidungen anderer Menschen , auch wenn sie Familienmitglieder sind, zu respektieren. Darum, gut und warm miteinander umzugehen und das Geschehene mit einem gewissen Verständnis beiseitelassen zu können.

Wäre es auch eine Möglichkeit des Verzeihens, wenn nur eine Seite mit sich selbst im Reinen ist und damit Frieden findet?

Andrea Sawatzki:

Ganz sicher. Ich glaube, das ist bei ganz vielen Menschen meiner Generation so, deren Eltern ja oftmals so aufgewachsen sind, dass sie viele Sachen gar nicht ausdiskutiert haben. Ich glaube, da geht es manchmal gar nicht anders, als dass man es sich mit sich selbst ausmacht und akzeptiert, dass die Eltern an eigene Traumatas nicht ran wollen.

Was würden Sie sich persönlich wünschen:

Mit welchen Gedanken, mit welchem Nachhall sollte der Leser am Ende Ihren Roman zur Seite legen?

Andrea Sawatzki:

Da möchte ich von meinen Eindrücken auf den Lesungen sprechen. Es hat mich einerseits sehr gefreut, wenn Zuhörer später sagten oder schrieben (über facebook), dass sie eigentlich Angst haben, aus dem Haus zu gehen, sich aber für diese Lesung aufgerafft hätten, unter Menschen zu gehen und dann  sehr froh waren, das gewagt zu haben, da sie sich in dem Moment auch nicht mehr so alleine fühlten. Oder wenn ich höre, dass dieses Buch Menschen Kraft gegeben hat. Das freut mich sehr, wenn so etwas passiert. Dann gibt es auch viele Menschen, vor allem Frauen in meinem Alter, aber auch jünger, die das teilweise ihren Mütter schenken, was ich schön finde, da ich denke, dass bei denen alles in Ordnung ist und sie gut darüber reden können. Ich würde mich freuen, wenn sich Menschen nach dem Lesen dieses Buches nicht mehr so alleine fühlen und sich mit den Berührungsängsten, die diese Krankheit mitbringt, auseinander setzen. Ich habe das Gefühl, dass dieses Buch bei vielen Menschen, die sich darauf einlassen, etwas in Gang setzt.

Mit Ihrem Debütroman hatten Sie auf Anhieb großen Erfolg. Wird es noch weitere Bücher geben?

Andrea Sawatzki:

Ich arbeite gerade an einer Familiengeschichte mit schwarzem Humor und psychologischem Beiwerk.

Sie arbeiten in einem kreativen Bereich, der aber auch (Selbst-)Disziplin erfordert.

Sind Sie ein Mensch, der gerne Sachen auf sich zukommen lässt oder versuchen Sie, soweit das möglich ist, alles organisiert und strukturiert anzugehen?

Andrea Sawatzki:

Ich gehe eher alles organisiert und strukturiert an. Wenn  ich mir etwas in den Kopf gesetzt habe, dann will ich auch, dass das klappt und arbeite darauf hin.

Machen Sie diesbezüglich Unterschiede im beruflichen und privaten Leben?

Lassen Sie im Privaten eher mal 5e grade sein?

Andrea Sawatzki:

Ja, den Unterschied gibt es. Im privaten Bereich hasse ich jeden Stress. Es sollte natürlich auch hier alles in einem gewissen Rahmen klappen, aber so bin ich. Ich gebe unseren Jungs Tipps und beschütze sie. Aber ich lasse ihnen genügend Freiraum, ihre eigenen Erfahrungen im Leben zu machen. Natürlich warne ich auch vor manchen Vorhaben und die Jungs sind so vernünftig , dass sie dann gar nicht erst darauf beharren etwas durchzusetzen. Ich glaube , wenn man als Mutter zu streng ist und ohne Erklärungen verbietet, verlockt man die Kinder dazu, manches erst recht (und heimlich ) auszuprobieren.

Als Schauspielerin sieht man sie oft in melancholischen Rollen, obwohl sie auch facettenreich andere Seiten zeigen, wie Ihre humorvolle und durchaus komödiantische.

(Beispielsweise in der TV-Reihe „Klimawechsel“ oder „Bella“)

Nachhaltig sind sie den meisten Zuschauern aber durch die melancholische Rolle der Tatortkommissarin Charlotte Sänger in Erinnerung geblieben. Würden Sie sich hier eine Veränderung wünschen?

Andrea Sawatzki:

Ja, das ist so. Ich habe in der letzten Zeit vermehrt Komödien gespielt und drehe im Spätsommer auch wieder zwei „Bellas“ und freue mich dann aber auch nächstes Jahr wieder auf eine ernste Rolle. Ich bemühe mich immer einen ausgeglichene Balance zwischen ernsten und heiteren Figuren.

Gibt es eine Traumrolle, egal ob Film oder Theater?

Andrea Sawatzki:

Es gibt eine Traumrolle, da sind wir gerade dran. Es ist eine Romanverfilmung (nicht mein Roman!), aber da bin ich gerade in Verhandlungen und hoffe sehr, dass das klappt. Es ist eine ernste-tragische Rolle, aber auch mit einem, den Umständen entspringendem, schwarzen Humor.

Gibt es ein Buch, dass sie sehr gerne als Hörbuch einsprechen würden?

Andrea Sawatzki:

Ja, es gibt zum Beispiel diese fantastischen Krimis von Tana French, die würde ich gerne lesen. Dann liebe ich die Bücher von Joan Didion oder die Kurzgeschichten von Raymond Carver. Aber es gibt noch viele andere, tolle Bücher…

Und auch für Sie, liebe Frau Sawatzki, die berühmten drei letzten „Bücher leben!“-Fragen:

Wann schreiben Sie? (Morgens, mittags, abends, immer)

Andrea Sawatzki:

Immer, auch wenn ich nur fünf bis zehn Minuten Zeit irgendwo habe.

Wie schreiben Sie? (Laptop, per Hand, PC)

Andrea Sawatzki:

Begonnen habe ich per Hand, bis mein Lektor sich beschwert hat. Dann habe ich angefangen auf dem ipod zu schreiben und wechsel manchmal auf den Computer.

Wo schreiben Sie? (Arbeitszimmer, Küchentisch, Baumhaus, überall)

Andrea Sawatzki:

Überall.

Sabine Hoß

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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