Heike Eva Schmidt, in Bamberg geboren und aufgewachsen, lebt heute im Süden von München. Nach dem Studium der Schulpsychologie wendete sie sich dem Journalismus bei Rundfunk, Fernsehen und Zeitschriften zu. Als sie ein Stipendium an der Drehbuchwerkstatt München erhielt, stellte Heike Eva Schmidt fest, dass sie ihre Berufung gefunden hatte: Geschichten erfinden und schreiben. Seit 2010 schreibt sie altersübergreifende Romane im Genre Fantasy und Historisches („Die gestohlene Zeit“, „Purpurmond“ – beides Droemer Knaur) sowie reale Themen für Jugendliche („Moorseelen“, „Schlehenherz“ – beides Ueberreuter, „Amerika liegt im Osten“, Schwarzkopf & Schwarzkopf) und arbeitet auch als Drehbuchautorin.
Zu ihrem Buch „Moorseelen“ und dem Schreiben an sich habe ich ein Interview mit der Autorin geführt:
In Ihrem Roman geht es darum, wie leichtgläubige und problembelastete Jugendliche raffiniert in eine Sekte verführt werden.
Wie sahen hier Ihre Recherchearbeiten aus?
Heike Eva Schmidt:
Ich habe Bücher von Sektenaussteigern gelesen, unter anderem das eines „Mooney“, also eines jungen Mannes, der in die Fänge der „Moon-Sekte“ geraten war. Auch Fernsehbeiträge und Interviews mit Eltern, deren Kinder als Jugendliche in einer Sekte gelandet waren und fast jeden Kontakt abgebrochen hatten, hatte ich mir angesehen. Zudem habe ich mich lange und ausführlich mit einem Psychologen unterhalten, der sich auf die Betreuung von Sekten-Aussteigern spezialisiert hat. Es war unglaublich interessant, aber auch sehr bedrückend zu erfahren, mit welchen ausgefeilten Methoden diese Sekten gerade Jugendliche in ihre Fänge locken.
Mit welchen Schwierigkeiten mussten ehemalige Sektenmitglieder bei ihrem Ausstieg kämpfen?
Heike Eva Schmidt:
Vor allem mit dem Gefühl, die anderen Mitglieder verraten zu haben. Oft fühlen sich Aussteiger schlecht, weil sie zwar wissen und spüren, dass ihr Weggang richtig war, aber die Regeln und Gesetze der Sekte sind natürlich immer noch in ihrem Kopf „verankert“ und bereiten ihnen oft Schuldgefühle und Zweifel. Zudem haben Aussteiger mit dem Gefühl der Isolation zu kämpfen, denn viele haben Jahre, wenn nicht sogar ihr ganzes bisheriges Leben in einer Sekte verbracht. Nicht umsonst halten solche „Gemeinschaften“ ihre Mitglieder von der normalen Gesellschaft fern, bzw. infiltrieren sie, dass die restliche Welt „böse und schlecht“ ist. Kommen nun Aussteiger in diese „neue Welt“, müssen sie sich erst einmal mühsam zurecht finden, da oft alle bisherigen Freunde und Familienmitglieder in der Sekte geblieben sind und sie sich erst einmal ein ganz neues, eigenes Leben aufbauen müssen. Viele sind auch gar nicht gewöhnt, eigene Entscheidungen zu treffen, das hat bisher ja das Sektenoberhaupt getan. Sich innerlich und äußerlich von dieser Tyrannei zu lösen, ist ein langer und oft schwerer Weg.
In Ihrem Roman sind es überwiegend Jugendliche, die sich dankbar in der vermeintlichen Gemeinsamkeit der Kommune auffangen lassen.
Was sind Ihrer Meinung nach die häufigsten Gründe, die Jugendliche in eine Sekte rutschen lassen?
Heike Eva Schmidt:
Der Sektenbeauftragte hat mir erklärt, dass es so gut wie nie nur ein einziger Grund ist, weshalb Menschen aus dem Gleichgewicht kommen und empfänglich für eine Sekte werden. Meistens kommen ein paar Dinge zusammen, die eine Krise auslösen – zum Beispiel schlechte Noten, dazu noch Trennung der Eltern oder der/die Freund/in macht Schluss, man ist im Job oder in der Klasse ein Außenseiter … Das lässt Jugendliche dann oft nach einem Sinn im Leben suchen, nach einer Gemeinschaft, in der sie sich gemocht und aufgehoben fühlen. Genau da setzen die Sekten an. Sie gaukeln den Menschen vor, in ihrer Organisation all das zu finden, was sie suchen. In Wirklichkeit ist es der erste Schritt in eine totale – und meist totalitäre – Abhängigkeit.
Glauben Sie, dass es heute für Sekten aufgrund der vielfältigen, oberflächlichen virtuellen Kommunikation leichter geworden ist, Jugendliche mit einem vermeintlich „echten“ Gemeinschaftsgefühl anzuwerben als noch vor 10 Jahren?
Heike Eva Schmidt:
Vielleicht. In den sozialen Medien ein „geschöntes“ Profil anzulegen, mit dem man Jugendliche anlockt, Kontakt aufzunehmen, ist sicher eine Methode, die es den Organisationen heute leichter macht. Auf der anderen Seite haben die Sekten später vielleicht mehr Schwierigkeiten, jemanden tatsächlich total aus ihrer bisherigen Gemeinschaft zu isolieren, denn ich kann mir vorstellen, dass bei einigen Jugendlichen „der Ofen aus ist“, wenn man ihnen strikt die Benutzung von Handy und Internet verbietet.
Sie schreiben in völlig unterschiedlichen Genre: Fantasy & Historisches (altersübergreifend) und reale Themen im Jugendbuchbereich.
Welche Herausforderungen, Faszination stellen diese entgegengesetzten Genre für Sie beim Schreiben dar?
Heike Eva Schmidt:
Ich betreibe für jedes Buch eine fundierte Recherche, ob es um historische Themen oder um einen Thriller geht. Für meinen Roman „Schlehenherz“ habe ich z.B. wochenlang mit einem Computer-Club Mails ausgetauscht, um die Möglichkeiten, sich anonym im Netz zu bewegen auch glaubhaft darstellen zu können. Bei „Purpurmond“ habe ich alte Stadtpläne und die erhaltenen Originalprotokolle der Hexenprozesse gelesen. Das ist zwar aufwändig, aber auch wahnsinnig interessant für mich. Ich stoße teilweise auf Themen und Fakten, die ich sonst nicht erfahren hätte. Und durch meine Recherchen komme ich wieder auf neue Ideen, die dann in den Roman einfließen. Das ist also Herausforderung und Faszination zugleich. Die größte Arbeit besteht meistens darin, Fachleute ausfindig zu machen, die auch bereit sind, für meine Fragen ihre Zeit zu opfern. Bisher hatte ich aber immer Glück und meine „Recherche-Quellen“ erwiesen sich als sehr hilfsbereit.
Haben Sie Vorbilder in diesen Sparten – und was lesen Sie selber gerne?
Heike Eva Schmidt:
Ich lese selbst kaum Fantasyromane, und nur ab und zu ein Jugendbuch. Ich glaube, wenn man zu viel in dem Genre liest, in dem man selbst schreibt, läuft man Gefahr, „blockiert“ zu sein und über den ganzen Themen, die es schon gibt, der eigenen kreativen Kraft nicht zu vertrauen.
Ich lese gerne Belletristik, vor allem die Romane von Uwe Timm, aber auch viele Neuerscheinungen, genauso Klassiker wie Hesse – und ich liebe die Gedichte von Else Lasker Schüler. In dem Band mit ihren gesammelten Werken schmökere ich immer und immer wieder…!
Schreiben Sie Fantasyromane, die nicht im Jugendbuchsegment eingereiht sind, anders wie ein Jugendbuch?
Heike Eva Schmidt:
Ja, meine Protagonisten sollten natürlich etwas „erwachsener“ sein und handeln. Allerdings werden meine Fantasybücher nicht viel anders vom Aufbau und Stil her, auch nicht automatisch „brutaler“ oder drastischer, weil es für Erwachsene ist. Ich glaube, Spannung und Gänsehaut brauchen keine Szenen, in denen das Blut spritzt. Oft passiert ja der größte Grusel in der Vorstellung des Lesers, das ist dann das berühmte „Kino im Kopf“.
Ganz spontan: Fallen Ihnen mehr Ideen, Themen für Fantasygeschichten oder eher für realkritische Jugendromane ein?
Heike Eva Schmidt:
Bisher hält es sich die Waage. Bei mir ist es immer so, dass die Idee das Genre bestimmt. Ich nehme mir vorher eigentlich nie bewusst vor „als nächstes schreibe ich einen Thriller (oder einen Fantasyroman)“. Es ist eher so, dass plötzlich ein „Ideen-Funke“ aufblitzt und ich beginne, daraus eine Geschichte im Kopf zu entwickeln. Erst da wird klar, welche Art Roman es sein wird.
Erschwert die Tatsache, dass Sie auch als Fernseh-Drehbuchautorin arbeiten, das Romanschreiben oder ist es eher hilfreich?
Heike Eva Schmidt:
Ich profitiere bei meinen Romanen sehr von der Drehbucharbeit! Schreiben ist zu einem großen Teil tatsächlich erlerntes „Handwerk“ und da habe ich im Drehbuchbereich die beste „Schule“ für Aufbau, Spannungsbögen und dramaturgische Elemente, was mir für meine Romane sehr zugute kommt. Tatsächlich habe ich mich erst an meinen 1. Roman gewagt, als ich mir ziemlich sicher war, dass ich fürs Fernsehen gute Geschichten schreiben kann.
Der Buchmarkt wird immer kurzlebiger, oberflächlicher – und leider auch vom Angebot einheitlicher. Was würden Sie sich als Autorin von den Verlagen, Programmmachern wünschen? Was vermissen Sie?
Heike Eva Schmidt:
Ich glaube, dafür bin ich noch zu kurz „dabei“. Ich habe ja erst 2012 begonnen, zu publizieren. Deshalb kann ich nicht wirklich beurteilen, wie sich der Markt verändert hat. Das können sicher Autoren, die seit Jahren oder gar Jahrzehnten schreiben, besser. Ich habe nur einmal erlebt, dass mein erster „realkritischer“ Roman Amerika liegt im Osten von einigen Verlagen abgelehnt wurde, weil den Lektoren die Themen Krieg, Vertreibung und Krankheit als „zu schwer und zu anspruchsvoll“ für Jugendliche erschienen. Als der Roman dann doch erschien, bekam er das „Bad Harzburger Eselsohr“ für herausragende Jugendliteratur – und in der Jury saßen hauptsächlich Jugendliche! Das hat mich unheimlich gefreut und darin bestärkt, dass die Verlage Kindern und jungen Erwachsenen ruhig etwas mehr zutrauen sollten.
Liegt schon ein neues Manuskript auf Ihrem Schreibtisch und wollen Sie schon verraten für welche Lesergruppe und welches Genre?
Heike Eva Schmidt:
Ein neuer Jugend-Thriller ist gerade fertig und liegt bei der Lektorin des Boje-Verlags. Gerade arbeite ich an einem geschichtlichen Stoff, der allerdings völlig ohne Fantasy-Elemente auskommt. Es ist also meine Premiere im Genre „historischer Roman“. Er wird 2015 bei Droemer erscheinen. Allerdings verrate ich hier schon mal: Er kann genauso gut von interessierten Jugendlichen wie Erwachsenen gelesen werden!
Und zum guten Schluss auch für Sie die drei „Bücher leben!“-Fragen
Wann schreiben Sie? (morgens, mittags, abends, immer)
Heike Eva Schmidt:
Wenn ich an meinen Romanen arbeite, fange ich am liebsten nach einem starken Espresso gegen 15 Uhr an. Davor schaffe ich es meistens nur, mein bisher Geschriebenes zu editieren und zu überarbeiten. Aber so richtig kreativ werde ich erst am Nachmittag. Dafür schreibe ich aber dann gerne mal bis 22 Uhr…
Wie schreiben Sie? (Laptop, PC, per Hand)
Heike Eva Schmidt:
Ich schreibe am PC oder am Laptop, je nachdem, ob ich mich zu Hause oder im Urlaub/Zug/meinem Schreibzimmer befinde. Notizen per Hand mache ich nur, wenn mir irgendwo unterwegs spontan eine Idee kommt, oder ich einen witzigen Dialog aufschnappe. Für diese Fälle habe ich immer meinen kleinen Moleskine und einen Stift in der Handtasche.
Wo schreiben Sie? (Arbeitszimmer, Küchentisch, Baumhaus, überall)
Heike Eva Schmidt:
Am liebsten in meiner kleinen Dachzimmer-Schreibstube mitten in Oberbayern. Da habe ich von meinem Schreibplatz aus den Blick auf die Berge und kann mich in der Ruhe der Natur wunderbar konzentrieren. Obwohl ich fast immer und fast überall schreiben kann: In der Strandbar in Griechenland genauso wie im ICE nach Berlin – ich tauche meist so sehr in meine Geschichten ein, dass ich nichts mehr um mich herum wahrnehme. Aber ein Baumhaus wäre natürlich auch fantastisch – darüber muss ich unbedingt nachdenken!
Sabine Hoß