Interview mit Helga Gutowski

Helga Gutowski ist ausgebildete Erzieherin und Sozialpädagogin. In diesen beiden Berufen hat sie bodenständig in sämtlichen sozialpäd. Einrichtungen gearbeitet. Vor allem aber war sie, über dreißig Jahre lang, Lehrerin an der Fachschule für Erzieherinnen in Flensburg. Heute arbeitet Helga Gutowski freiwillig als Gestalttherapeuthin in einer psychologischen Beratungsstelle des Diakonischen Werkes. „Sandersommer“ ist ihr erstes Kinderbuch bei rowohlt.

Helga Gutowski (Foto (c) Fotodesign Jansen, Flensburg)

Helga Gutowski (Foto (c) Fotodesign Jansen, Flensburg)

Frau Gutowski, ein Buch für Kinder über den Tod und das Sterben ist sicher oft ein Drahtseilakt.

Helga Gutowski:

Ja, genau, darum ist die Geschichte eingebettet in Jettes Alltag, sie erzählt vom Leben mit Mama, Papa, Oma und Kita. Sie reduziert sich nicht auf das Sterben von Sander.

Meist wird über den Tod eines engen Familienmitglieds wie Vater, Mutter oder ein Großelternteil geschrieben. Wie sind sie auf die ausgefallene Idee gekommen, den Tod eines kleinen Babys zu wählen, das bereits mit Startschwierigkeiten zur Welt gekommen ist?

Helga Gutowski:

Bei einem Besuch in Alphen/ Holland hörte ich von einer Katze, Trixie. In ihrer Familie war ein Säugling gestorben, und als er beerdigt wurde, zog sie zu ihm. Ich besuchte den Kinderfriedhof, und tatsächlich: Sie kam aus dem Gebüsch und sprang auf die Bank. Ich hielt den Atem an, und in meinem Kopf ging das Schreiben los.

Worin besteht Ihrer Meinung nach der Hauptunterschied in der Verarbeitung und auch im Annehmen der Trauer zwischen Erwachsenen und Kindern?

Helga Gutowski:

Erwachsene sind vorbelastet im Trauern. Sie sind beschäftigt mit den Trauerfällen von früher und mit der Frage, wie soll es weiter gehen. So leben sie in der Vergangenheit und in der Zukunft. Oft gelten für sie gesellschaftliche Normen, denen sie sich im Trauerprozess unterwerfen. Ihr gesamtes Erleben verkürzt sich auf das Trauern.
Kinder aber erleben eine Beerdigung als etwas Neues, sind nicht programmiert aufs Trauern. So gehen sie hinein in alles, was um sie herum passiert, nehmen neugierig wahr, erforschen, staunen und leben im Jetzt. Sie sind unbelastet von der Vergangenheit und fragen nicht: Wie wird es weitergehen?

Können wir da von den Kindern lernen oder wäre das in der Individualität des Trauerns zwischen den Generationen zu weit gegriffen?

Helga Gutowski:

Tolle Frage!
Vermutlich können sie wechselseitig voneinander lernen: Die Kinder erleben die Älteren anders als sonst, erleben Echtes, Unechtes, Weiches und Hartes.
Auf jeden Fall haben die Erwachsenen bereits etwas gelernt, nämlich die Kinder nicht länger auszuschließen von ihren Trauerritualen: Manches kann leichter werden, heller, vollständiger.

Es ist sehr behutsam eingebettet und man muss schon aufmerksam lesen, um festzustellen, dass sie als Eltern von Sander nicht die klassische Mann-Frau-Beziehung gewählt haben, sondern zwei Frauen, Greta und Ruth. Warum haben Sie sich für diese Paar-Konstellation entschieden?

Helga Gutowski:

Rein intuitiv, ich hatte plötzlich das Bild von Ruth und Greta als Elternpaar vor mir stehen, dachte, ich gebe der Greta eine Ruth. Es muss ja nicht immer ein Hans sein.
Mir sind andere, neue Lebensentwürfe seit langem willkommen und in meinem Umfeld gewohnt.
Auf jeden Fall hoffte ich wohl, es würde Greta und Ruth als Paar gelingen, mit dem bevorstehenden Verlust fertig zu werden.  Eine pädagogische Motivation war mir nicht in den Sinn gekommen.

Glauben Sie, dass Kinder dies beim Vorlesen bemerken – und rechnen Sie dann mit Rückfragen?

Helga Gutowski:

Das wäre schön. Ich glaube aber: eher nicht. Vielleicht fragen sie: „Und wo ist gerade ihr Papa?“ Für sie könnten es auch Ruth und Greta und Papa sein.
Allerdings: Kinder können auch sehr konservativ sein, sich sträuben gegen Ungewohntes.

Ich finde es angenehm, dass Sie Tod und Trauer losgekoppelt von Glaube und Kirche thematisieren und trotzdem sehr sensibel und einfühlsam auf Augenhöhe der Kinder (auch auf der der der jüngeren), darauf eingehen. Ist das bewusst von Ihnen so gewählt?

Helga Gutowski:

Ich stelle mir vor, wie Kinder Tod und Sterben erleben, gehe in einen Dialog mit ihnen, das heißt auch, mit mir selbst. Und da finde ich keine Lehre, gibt es nichts Sentimentales, gibt es keine Didaktik, bin ich auf Augenhöhe.
Wenn Sie sich das Gespräch mit dem Kinderarzt im Krankenhaus anschauen, wird das deutlich und am Schluss des Buches und auch überall dazwischen.

Wie schwer war es, für dieses Buch einen Verlag zu finden? Wie lange hat es gedauert und haben Sie für die Vermittlung auf eine Literaturvermittlung zurückgegriffen?

Helga Gutowski:

Nachdem mein Manuskript „Sander ist ein Stern“ nominiert worden war für den Oldenburger Kinder- und Jugendbuchpreis 2011, dauerte es nur ein paar Wochen, bis Rowohlt ein Buch daraus machen wollte.
Anders war es mit einem früheren Manuskript, „Pubertät mit Mütze“, das habe ich nach Sander neu überarbeitet und an eine Literaturagentur gegeben. Es handelt von Frida, fast dreizehn, einem Vater, der zu einem Mann zieht und von einer Patchwork-Familie.

Wird es noch weitere Kinder- oder Jugendbücher von Ihnen geben und wenn ja, können, wollen Sie schon Themen nennen?

Helga Gutowski:

Gerade ist ein neues Kinderbuch-Manuskript fertig geworden und auf dem Weg zum Verlag: „Graukatze“. Es handelt von Helen, 10, die bei der Oma lebt. In ihrer Siedlung haben sie Angst vor den Achtklässlern, die immer bedrohlicher auftreten. So handelt es auch von Übergriffen und davon, wie Helen zum Opfer wird und trotzdem nicht in dieser Rolle stecken bleibt. Als nächstes will ich Geschichten über Erstklässler schreiben und über eine besondere Art von Lehrerin.

Der Deutsche Jugendliteraturpreis und der AKJ steht zur Zeit (mal wieder) stark in der Kritik. Haben Sie eine Meinung zur aktuellen Diskussion, ob der Preis so bleiben soll, wie er zur Zeit aufgestellt ist oder ob es eine eigene Sparte für ein übersetztes Buch geben soll?

Helga Gutowski:

Ich halte das Übersetzen für eine besondere Kunstform innerhalb der Schriftstellerei. In Zeiten des globalen Lebens spielt dieser Bereich eine maßgebliche Rolle. Ich wäre durchaus für einen Preis, der die Qualitäten dieser Sparte in besonderer Weise würdigt.

Und jetzt auch für Sie die letzten drei „Bücher leben!“-Abschlussfragen:

Wann schreiben Sie? (morgens, mittags, abends, immer)

Helga Gutowski:

Immer und vor allem gleich morgens, aber auch im Bus, in der Bahn und zwischendurch.

Wie schreiben Sie? (Laptop, per Hand, PC)

Helga Gutowski:

Mit dem Laptop am Schreibtisch und zwischendurch mit Bleistift ins Notizbuch.

Wo schreiben Sie? (Arbeitszimmer, Küchentisch, Baumhaus, überall)

Helga Gutowski:

Normalerweise im Arbeitszimmer mit Terrasse, mit Blick auf Amseln und Meisen. Das Schreiben beginnt mit grünem Tee, den ich mir in der Küche braue, anschließend setze ich mich an den Schreibtisch, und danach, nach zwei Stunden etwa, ist der Tee kalt. Immer wieder.

Sabine Hoß

 

 

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