Interview mit Nina Blazon zu „Wolfszeit“

Nina Blazon  ( Foto (c) Isabelle Grubert )

Nina Blazon ( Foto (c) Isabelle Grubert )

Ein Interview mit Nina Blazon zu Ihrem aktuellen historischen Roman „Wolfszeit“ Ravensburger, € 17,99

Nina, Du hast für „Wolfszeit“ eine Recherche-Reise in das Land der Bestie, ins Gévaudan, gemacht. Mit dem Sprichwort „Wenn Du nicht brav bist, kommt die Bestie und frisst Dich!“ (das Du in Deinem Nachwort zitierst), sieht man, dass die Geschichte um das Ungeheuer bis heute in den Köpfen der Menschen lebendig ist. Was hat Dich bei Deiner Reise am meisten fasziniert?

Nina Blazon:

Es gab sehr viele Aha-Erlebnisse. Zum einen war ich überrascht, wie präsent die Bestiengeschichte in der Auvergne ist. In Form von künstlerischen Skulpturen schmückt das Untier Brunnen, Ortseingänge, Plätze und Tatorte. In Saugues, dem Zentrum der Geschichte, begegnet man ihr auf Schritt und Tritt: Fußspuren auf dem Boden, an den Häusern finden sich Reliefs von Bestiengesichtern. Es gibt Wanderwege und Reiseführer, die Rundgänge zu den Tatorten mit Landschaftskunde verbinden.

Außerdem wird bis zum heutigen Tag eifrig geforscht und rekonstruiert, eine Gesellschaft befasst sich mit der wissenschaftlichen Rekonstruktion der Ereignisse von damals. Jean Richard, Gründer des Bestienmuseums in Saugues, gibt die Zeitschrift „La Gazette de la Bete“ heraus. Darin werden einmal jährlich die neuesten Forschungsergebnisse präsentiert. Es war faszinierend zu sehen, wie die Vergangenheit auf diese Weise lebendig bleibt (bis hin zum Malwettbewerb für Kinder, wer die schönste Bestie malt, kein Witz!). Auf der anderen Seite ist es aber wohl gar nicht so verwunderlich, schließlich sind die Ereignisse von damals für viele Menschen auch Teil der Familiengeschichte, unter den Vorfahren gab es so einige Opfer.

Zum anderen war es ein Aha-Erlebnis war, wie gut der Fall in Frankreich schon erforscht ist. Hierzulande denken viele, sie kennen alle Facetten der Geschichte – weil sie zum Beispiel den Film „Pakt der Wölfe“ gesehen haben und weil im Internet einige Eckdaten und Fallbeschreibungen verfügbar sind. Aber in Frankreich ist man sehr viel weiter. Einige Theorien, die auf deutschen Internet-Seiten noch diskutiert werden, sind dort bereits ad acta gelegt. Leider ist ein Großteil der Fachliteratur noch nicht übersetzt. (Deshalb durfte ich ganz neue Seiten im Französisch-Wörterbuch kennen lernen, puh!)

Haben die Leute offen oder eher verhalten auf deine Nachfragen reagiert?

Nina Blazon:

Sehr offen! Wirklich jeder, den ich auf der Straße oder im Café fragte, erzählte gerne etwas dazu. Außerdem durfte ich auch außerhalb der Öffnungszeiten in einige Museen, das war natürlich wunderbar.

Du weist ja auch auf deiner Homepage darauf hin, dass die Bestie hierzulande erst durch den Film „Pakt der Wölfe“ Bekanntheit erlangte. Wirst du darauf angesprochen?

Nina Blazon:

Nur von Leuten, die sich nicht näher mit der Geschichte befasst haben. Aber das ist nichts Ungewöhnliches. Ich glaube, jeder Autor, der einen historischen Fall als Vorlage genommen hat, bekommt früher oder später einmal den „Das-Buch-zum-Film-Stempel“ verpasst, falls derselbe Stoff irgendwie schon mal auf der Leinwand zu Ehren kam. Lynn Raven, die in ihrem Dark-Fantasy-Roman „Werwolf“ den Fall ebenfalls zitiert, kann auch ein Lied davon singen.

In Wolfszeit habe ich den historischen Fall beleuchtet und spiele mehrere Theorien durch, unter anderem auch eine (von vielen), die im Film ansatzweise (allerdings in Fantasy-Manier umgesetzt) eine Rolle spielt. Diese These wurde in Frankreich schon im 19. Jahrhundert diskutiert und sogar literarisch bearbeitet. Untersuchungen aus neuerer Zeit (von Forschern wie Dr. Utz Anhalt) stützen diese These aus wissenschaftlicher Sicht. Dieses Element ist also keine Idee des Filmemachers (wie in einer Rezension zu „Wolfszeit“ vermutet wurde), sondern zitiert einige Bestien-Spezialisten. Die neuesten Forschungsergebnisse, die ich in „Wolfszeit“ für die Auflösung des Falles verwende, sind um weitere Fakten ergänzt. Sie stammen aus dem Jahr 2009.

Abgesehen davon kann ich nur empfehlen, sich Verfilmungen des Stoffes („Die Bestie der alten Berge“ bietet ein sehr stimmiges historisches Ambiente) zusätzlich zum Buch anzuschauen, es ist spannend zu sehen, wie die historischen Ereignisse (z.B. die Jagden der Dragoner, die Adelshäuser de Morangiès und d’Apcher) interpretiert werden und welche Theorien ins Drehbuch hineinspielen.

Es gibt heute noch einen „Wolfspark“ im Gévaudan. Was muss ich mir darunter vorstellen, einen Naturpark? Gibt es dort heute tatsächlich noch viele Wölfe?

Nina Blazon:

Es ist ein Gehege mit verschiedenen Wolfsarten, in einer wunderschönen Gebirgslandschaft gelegen. Für ungeübte Autofahrer eine abenteuerliche Anfahrt über sehr (!) steile Wege. Oben wird man mit einem großartigen Blick in die Täler belohnt. Man wandert von Freigehege zu Freigehege und wenn man Glück hat und die Tiere sich nicht in den Schatten der Büsche verkriechen, sieht man alle Wolfsarten, die dort leben, vor großartiger Naturkulisse: Wölfe aus Polen und Kanada, sibirische Wölfe, weiße Wölfe aus der Arktis, dunkle Timberwölfe aus Kanada und noch einige mehr. Der Wolfspark ist aber auch gleichzeitig ein Informationszentrum. Man erfährt in den Ausstellungen in Filmen und den Publikationen sehr viel über das Verhalten der Wölfe, über die Populationsdichte im Laufe der Jahrhunderte, über Brauchtum und Aberglauben. Der „Liebeszauber mit Wolfspfote“ und andere Hausrezepte, die ich im Buch beschreibe, habe ich dort recherchiert, ebenso typisch französische Redewendungen. Bei uns ist man zum Beispiel „bekannt wie ein bunter Hund“, in Frankreich „bekannt wie ein weißer Wolf“. In den Räumen gibt es auch eine Ausstellung zur Bestie von Gévaudan – und die neueste Literatur zum Thema.

Die Ermittlungen von Thomas Auvray führen uns in tiefe, psychologische Abgründe von Menschen. Die von Dir recherchierten Tatsachen, Fakten sind unheimlich und manchmal mag man sie sich gar nicht vorstellen, obwohl sie wahr sind.

Was hat Dich bei der Recherche über die Entwicklung dunkler psychologischer Denk- und Handlungsweisen tiefer menschlicher Abgründe am meisten erschreckt bzw. beeindruckt?

Nina Blazon:

Ich hatte das Glück, dass der Kriminalist und Profiler Stephan Harbort bereit war, für diesen Roman mit mir zusammenzuarbeiten. Nicht nur in Bezug auf die Analyse der Fälle, sondern auch bei ganz konkreten Fragen durfte ich ihn zu Rate ziehen: Wie erkennt man, ob einem Opfer eine Wunde vor oder nach dem Tod beigebracht wurde? Wie kann man Rückschlüsse auf die Tatwaffe ziehen? Alles Details, die man sich im normalen Leben lieber nicht vorstellen möchte. Außerdem hat es mich fasziniert zu erfahren, dass Mörder eine biographische „Genese“ durchlaufen – und die einzelnen Stationen treffen auf sehr, sehr viele Menschen zu. Erschreckend, aber aufschlussreich.

Der Roman zeigt auch die Kraft und Langlebigkeit von Geschichten und Märchen.

Glaubst Du, dass dieses tradierte, ausschmückende Weitererzählen in unserer schnelllebigen und in der Kommunikation immer oberflächlicher werdenden Gesellschaft  langsam, aber sicher ausstirbt?

Nina Blazon:

Aussterben ist, glaube ich, ein zu starkes Wort. Aber es wird schneller und auch schnelllebiger, ja. Wenn man es ganz konkret auf geschrieben Geschichten bezieht: Nur ganz wenige Klassiker wie zum Beispiel Astrid Lindgren und Michael Ende halten sich als verbindendes Kinderbuch-Element über Generationen. Jede Altersstufe wächst heute mit weiteren, ganz eigenen Lieblingsbüchern auf. Irgendwo habe ich einmal in diesem Zusammenhang die Begriffe „Harry-Potter-Generation“ und „Biss-Generation“ gelesen. Ganz so eingeschränkt ist es vermutlich (hoffentlich?) nicht, aber ich glaube schon, dass das Geschichtenrad sich immer schneller dreht. Trotzdem: Geschichten und besonders Märchen haben eine besondere Kraft und ich persönlich glaube, dass sie auch noch in hundert Jahren erzählt werden – vielleicht ein wenig verändert und an die Zeit angepasst, aber immer noch präsent.

Wenn Du eine Zeitreise machen könntest, würdest Du gerne als Zuschauer in der Mitte des 18. Jahrhunderts in Frankreich landen oder lieber in der Zukunft?

Nina Blazon:

Ich wäre ganz klar für einen sonnigen Tag in Versailles! Ein Besuch im Schloss, das zu Zeiten von Ludwig XV. Ich würde das Hofleben beobachten, Gesprächen lauschen und hoffentlich einen Blick auf Madame du Barry werfen können.

Vielen Dank, liebe Nina für Deine Zeit und Antworten. – Und weiterhin ganz viel Erfolg für Deine historischen und Fantasy-Romane! 🙂

Sabine Hoß

 

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