Nina, Du hast Dich von dem Sachbuch „Die Welt ohne uns“ von Alan Weisman zu dem Szenario inspirieren lassen, wie die Welt aussehen könnte, wenn die Menschheit von einem Tag auf den anderen von diesem Planeten plötzlich verschwinden würde. Eine Inspiration vielleicht auch mit dem versteckten Hinweis auf unsere Verantwortung und unser Verhalten, damit diese Erde lebenswert bleibt?
Nina Blazon:
Mich hat einfach der Gedanke fasziniert, wie schnell die Natur die Spuren menschlicher Existenz tilgen würde. Und natürlich war es spannend zu lesen, wie die Überbleibsel unserer Zivilisation – Kernkraftwerke zum Beispiel – sich auf Flora und Fauna der Zukunft auswirken würden. Wie alle anderen Gebäude, würden auch diese Bauwerke bald von der Natur „geknackt“ werden, die langfristigen Auswirkungen kann man sich vorstellen (oder in Alan Weismans Buch nachlesen). Aber auch im Kleinen hat die Existenz der Menschen schon so viel verändert, dass die Natur an vielen Stellen nicht mehr zum „Urzustand“ zurückkehren würde, sondern ein neues Gesicht bekäme. Zum Beispiel durch Zierpflanzen, die eingeführt wurden. In New York würde sich zum Beispiel ein asiatisches Gewächs rasend schnell verbreiten: der chinesische Götterbaum. Schon jetzt richtet diese Pflanzenart in der Stadt Schäden an, da sie sehr starke Wurzeln hat,
einfach überall Fuß fassen kann und einheimische Pflanzen schnell verdrängt, wenn sie die Gelegenheit dazu bekommt.
Der „Naked Cowboy“ tritt ja tatsächlich seit über 10 Jahren in New York am Times
Square auf. Gibt es den ältesten Baum Brooklyns „Forever“ ebenfalls, in dem Verliebte ihre Initialen in die Baumrinde einritzen?
Nina Blazon:
Romantische Vorstellung, nicht wahr? Aber der Forever-Baum ist leider nur eine Erfindung. Ich habe aber die authentischen Elemente wie den Straßensänger ganz bewusst neben die fiktiven Elemente gestellt, um die erfundenen Dinge noch etwas
glaubhafter zu machen. Und diese Frage zeigt mir, dass der „realistische Touch“ zumindest beim Forever-Baum auch rüberkommt, was mich natürlich sehr freut. 😉
Du hast auch indianische Mythologie in Deine Geschichte eingebaut. Was fasziniert Dich besonders an der Geschichte der Indianer mit all ihren geheimnisvollen Mythologien; schließlich stammt auch der Name „Zweiherz“ daraus?
Nina Blazon:
Da die Geschichte in New York spielt, habe ich erst einmal nach Mythen aus diesem Kulturraum gesucht und stieß so auf die Mythen verschiedener Natives, darunter den Trickster – den Kojoten, oder auch den Wendigo, der in der US-Literatur übrigens immer wieder mal mit New York verknüpft wird. Ganz aktuell zum Beispiel im Buch „Den Mond aus den Angeln heben“ von Gregory Hughes. Fasziniert hat mich an diesen Mythen besonders die Verbindung zur Natur, die Krafttiere, die Wandlungsfähigkeit der Figuren – und all diese Elemente spielen auch in Zweilicht eine sehr wichtige Rolle.
Was hat Dich zu der düsteren und magischen Mondwelt inspiriert und zu dem Dämon „Wendigo“, der seine Kraft aus den Albträumen der Menschen zieht?
Nina Blazon:
Ich glaube, dass Ängste viel Energie aufzehren und binden. Man sagt ja nicht umsonst, dass Menschen „vor Angst erstarren“. In der Nacht sind Ängste ganz besonders präsent, und auch Albträume sind eine Form der Angst, die sehr real wirken kann. Erst bei Tageslicht sieht vieles nicht mehr so schlimm aus. An diesem Gedankenspiel habe ich mich orientiert, als ich Wendigo winterliche Nachtwelt konstruiert habe. Da der Wendigo Angst und Schrecken verbreitet, passte es gut, ihm dieses Angst-Element zuzuordnen: Das Blau der Nacht und die Kälte des Winters (die er auch in den indianischen Legenden mit sich trägt, er hat ja ein Herz aus Eis).
Man liest von einem eiskalten, erstarrten New York. Der Winter ist nicht die
Jahreszeit, die ich persönlich mag: kalt, nass, nebelig, düster und lange Dunkelheit. Wie ist das bei Dir?
Nina Blazon:
Ich mag den Herbst sehr gerne, aber noch lieber den Winter, vor allem, wenn Schnee fällt.
Jay und Madison sind Filmliebhaber und es werden einige Filme, Filmszenen oder auch bekannte Sätze aus diesen mit der Handlung verbunden. Zum Beispiel „Blade Runner“, „Mondsüchtig“, „THX 1138“. Das deutet darauf hin, dass Du selbst ein leidenschaftlicher Cineast von Science-Fiction und Fantasyfilmen bist?
Nina Blazon:
Ich bin ein großer Science-Fiction-Fan und habe mich schon als Jugendliche von den Asimov-Geschichten über Philip K. Dick, Ray Bradbury, Aldous Huxley bis hin zu Lloyd Biggle, Robert Silverberg und Michel Grimaud durchgelesen. Die Filme dieses Genres mag ich auch sehr, sowohl die Klassiker wie den „Blade Runner“ als auch neue Produktionen wie z.B. „Moon“.
Kann man Dich auch zu einer romantisch-leidenschaftlichen Filmliebesschnulze überreden?
Nina Blazon:
Aber klar, Kino ist Kino!
Du spielst mit verschiedenen Stilelementen des Films in Deinem Buch. Esgibt immer wieder überraschende Wendungen, schnelle, „actionreiche“ Szenenwechsel. Außerdem gibt es auf raffinierte Weise Andeutungen auf verschiedene Filme, was dem Buch einen ganz besonderen Humor gibt. War das ein ganz neuer Versuch, diese Elemente in einer Fantasygeschichte einzubauen und inwiefern glaubst Du, dass er gewagt ist?
Nina Blazon:
Ja, es war eine kleine Premiere. Ob es wirklich so gewagt ist, kann natürlich der Leser besser beurteilen. Für mich war es etwas Neues, zum Beispiel in einer Fantasygeschichte sehr dialoglastige Szenen zu schreiben und zwischen Perspektiven und Schauplätzen so schnell zu wechseln, wie man es aus dem Filmgenre gewohnt ist. Schnelle Schnitte sozusagen. Für Leser, die eher das Epische mögen, mag es etwas ungewohnt sein. Aber gewagt war natürlich der „Plot Twist“. Im Film ist diese Art der Geschichtsführung ein altbekanntes Stilmittel, ein Aha-Effekt, der zum Beispiel in den Filmen von Night M.
Shyamalan oder auch in Krimis wie „Die üblichen Verdächtigen“ verwendet wird. Eine Wendung in der Handlung setzt alles, was vorher war, in ein völlig neues Licht. In Büchern habe ich solche Twists bisher selten gelesen. Gewagt war es also, auszuprobieren, ob Leser sich darauf einlassen, dass eine Geschichte an einem Punkt nicht wie erwartet weitergeht, sondern der erste Teil des Buches ganz neu bewertet werden muss. Aber der Vorteil beim Buch ist ja auch: Man kann gleich zurückblättern und der Wendung nachspüren, den Film muss man noch mal schauen.
Hast Du Sorge, dass bei Anspielungen von Filmen, (insbesondere älteren wie „Flucht ins 23. Jahrhundert“, „Buck Rogers“), die die Jugendlichen vielleicht (noch) nicht kennen, das Lesevergnügen um gewisse Pointen reduziert wird?
Nina Blazon:
Nein, es funktioniert auf zwei Ebenen und beide Ebenen stehen für sich. Wer die Filme
kennt, wird an manchen Stellen grinsen, wer nicht, liest einfach weiter. Ich liebe solche Spielereien einfach und freue mich dann natürlich, wenn jemand sagt: „Ah! Das ist doch ein abgewandeltes Dialog-Zitat Anspielung aus ‚Blade Runner’! Da das Buch von Vergangenem handelt, fand ich es einfach passend, auch hier ein bisschen Nostalgie walten zu lassen und die Klassiker hervorzuholen. Aber ein paar neue Filme spielen hier ja auch am Rande mit.
Madison hat kein Handy und Jay findet sie auch in keinem „social Network“ wie facebook und Co, „weil sie keine Lust hat, durchsichtig zu sein“. Bei einer Unterhaltung zwischen den beiden, macht Jay sie auf den ersten Spielfilm von George Lucas aufmerksam „THX 1138“, der gegen Überwachung ist. Da liest man eine gute Portion kritische Skepsis heraus. Wie ist Deine Einstellung zu den modernen Social-Media-Möglichkeiten?
Nina Blazon:
Ja, Madison ist mit ihrer Internet-Abstinenz sicher eine Ausnahmeerscheinung. Ich
kenne Leute, die sind begeistert davon, jederzeit informiert zu sein, wo ihre Freunde
sich aufhalten und was sie gerade tun. Mir persönlichen reichen aber auch „Updates“ in größeren Abständen.
Liebe Nina, ich danke Dir herzlich für Deine Zeit und ausführlichen Antworten rund um „Zweilicht“ und wünsche Dir mit diesem ganz außergewöhnlichen, urbanen Fantasyroman viel Erfolg! 🙂