Mit „Das Lavendelzimmer“ stand Nina George 2013 63 Wochen auf der Bestsellerliste und das Buch wurde in 35 Sprachen übersetzt und war auch in den USA in den Top Ten. Seit 1992 schreibt die 45-jährige Autorin unter verschiedenen Pseudonymen Romane, Reportagen, Kolumnen, Essays und Kurzgeschichten. Mit Ihrem Ehemann, Jens Jo Kramer schreibt sie unter dem Pseudonym „Jean Bagnol“ seit vielen Jahren erfolgreiche Provence-Krimis.
Nina George, 45 Jahre, ist eine charismatische, kluge Frau, die lebendig und energiegeladen erscheint, die das Leben mit Tempo in allen Facetten zu genießen scheint. Sie ist eine der ganz wenigen Autorinnen, die den Mut haben, die Differenzen zwischen Autoren und Verlagen offen anzusprechen und zu kritisieren und gleichzeitig Lösungsvorschläge für ein besseres Miteinander anzubieten. Nina George engagiert sich seit vielen Jahren auf vielfältige Weise für die Rechte der Autoren/Innen. Das nimmt ihr die Zeit, für das, was sie am liebsten tut – das Schreiben von Geschichten. Der Spagat zwischen alle den eherenamtlich literarisch-politischen Arbeiten und dem künstlerischen Schaffen hat sie auf Dauer müde gemacht und daher will sie sich zukünftig mehr auf das Schreiben neuer Bücher konzentrieren.
Auf Ihrer Lesereise zu ihrem neuen Buch „Die Schönheit der Nacht“ (eine Besprechung ist auf diesem Literaturportal zu lesen) hat Nina George in der schönen, kleinen Buchhandlung „Lesezeit“ in Düsseldorf-Kaiserwerth Station gemacht, wo ich sie zu einem Gespräch traf.
Sie haben eine auffordernde und lange Liebeserklärung an den stationären Buchhandel und an die Buchhändler im Mai diesen Jahres veröffentlicht.
Darin beschreiben Sie eindrucksvoll, welche physischen und emotionalen Eindrücke der Besuch eines Buchladens sowie der Kauf dort auslösen kann.
Ist der stationäre Buchhandel zu konservativ und mutlos für neue, andere innovative Wege, um die Leser in den Laden zu locken, die ansonsten überwiegend im Internet kaufen?
Nina George:
Ich denke, es gibt drei Arten von typischen BuchhändlerIn. Das sind einmal die großen Ketten, die vielleicht mehr auf den Umsatz gehen, weil sie eine große Fläche zu bespielen haben, wo dann vielleicht die Auszubildenden nicht so ausgebildet werden, wie man sich das von dem perfekten Buchhändler/In wünscht. Dann gibt es die inhabergeführten kleinen Buchläden, die sich permanent selbst ausbeuten. Wenn man dann noch ankommt und sagt, „mach doch mal was innovatives“, dann schauen die sich in ihrer Stadt um und sagen, „da ist kein Platz dafür“ oder „ ich kann meine Kraft nicht noch mehr selbst ausbeuten“. Und dann gibt es die dritte Gruppe, die das Glück haben, in Städten zu sein, wo sie kooperieren können. Kooperationen scheint mir der Schlüssel für den innovativen Buchhandel zu sein. Kooperationen mit anderen Institutionen, ob das nun die örtliche Laienspielgruppe ist oder Gesangsgruppe oder Tanzgruppe oder die Bürgermeisterei oder der Zoo. Wichtig ist, dass man gemeinsame neue Orte sich zusammen erschließt und Veranstaltung zusammen macht. Und wenn man einen Ort und ein Team hat und Kraft genug, denke ich, dass die Innovation in der Kooperation liegt. Da wird die Zukunft liegen. Der Buchhandel alleine wird es schwierig werden. Für mich ist er Gold wert, aber was ist mit denen, die nach uns kommen?
Der Buchhandel klagt u.a. darüber, dass es immer mehr Bücher, aber immer weniger Leser gibt. Die Studie „Buchkäufer – quo vadis“ sowie die aktuellen Wirtschaftsdaten vom Börsenverein des deutschen Buchhandels belegen, dass bereits zwei Lesergenerationen durch vielfältige andere Medien und Zeitmangel weggebrochen sind. Sie glauben an die Kraft und Magie des Buches auch in der Zukunft. Was macht sie so zuversichtlich in diesem Glauben?
Nina George:
Menschen brauchen Geschichten. Aber was sich tatsächlich verändert ist die Dareichungsform der Geschichten. Sie werden kürzer, die Aufmerksamkeitsökonomie schwankt ja unglaublich zwischen Netflix und facebook und Whatsapp und Schule und Arbeit usw. Das heißt, der Raum für Bücher zu lesen wird immer schmaler. Menschen, die sowieso schon immer wenig gelesen haben, werden jetzt nicht unbedingt zu neuen Hörigen des Buches. Ich glaube, das ist fast passé, wenn man ihnen nicht andere Formate von Büchern zeigt oder bringt.
Ich hatte heute Morgen ein Buch in der Hand, das heißt „Krieg“ (Janne Teller), ca. 50 Seiten lang. Das ist eine Novelle, die alles umdreht und den Krieg nach Deutschland schafft und eine deutsche Familie nach Syrien fliehen lässt. Und das ist ein Format, das kann man zum Beispiel in zwei Unterrichtseinheiten in Politik, Ethik oder Literatur verwenden. Das kann man auf dem Handy lesen oder als Theaterstück sehen, also in anderen Formaten. Aber ich glaube grundsätzlich an die Kraft der Geschichten. Und ich glaube auch, dass jede extreme Zeit irgendwann von einer anderen extremen Zeit abgelöst wird. Es muss immer erst noch einmal schlimmer kommen, bevor es besser wird. Und im Moment sind wir in einer Zeit, die immer schneller geht, in der immer mehr Menschen überfordert zu sein scheinen von langen Texten und jeder danach schreit, wir müssen kürzere Texte machen. Das müssen wir aber überhaupt nicht. Eigentlich müssen wir nur durch diese Phase durch, weil irgendwann kommt wieder die Sehnsucht nach sich versenken, nach Abstand finden von der lauten, schnellen, brutalen, braungefärbten, digitalisierten, schnellen, piepsenden, nervenden Welt. Deswegen bin ich da so zuversichtlich, dass die Wippe irgendwann wieder zurück wippen wird. Vielleicht in 10 Jahren erst, aber dann werden es die Bücher sein, die wieder Trost und Wissen, Rückzug und emotionale Menschenbildung bieten, das wir gerade verlieren.
Glauben Sie, dass das heute noch Elternhäuser den Einfluss besitzen und die Schule die passenden Bücher haben, um Kinder/Jugendliche an Literatur heranzuführen und sie zu Lesern zu machen?
Nina George:
Fangen wir mit der Schule an. Ich leite ein Forschungsprojekt, das heißt „Frauen zählen“ und startet am 01. Oktober 2018 mit der ersten Pilotstudie zur Sichtbarkeit von Frauen in Medien und Literaturbetrieb. Die erste Pilotstudie richtet sich darüber, wie sichtbar Frauen in Literaturkritiken sind. Eine der nächsten Studien wird sein, dass wir uns Lehrmaterialien anschauen in Grundschulen, Gymnasien und Hochschulen. Wie oft welche Autoren oder Autorinnen empfohlen und gelesen werden. Bei der Gelegenheit haben wir schon festgestellt, dass der ganze Schulkanon, den wir heute haben, nicht unbedingt dazu gedacht ist, dass Schüler zu Lesern verführt werden. Man macht sie vielleicht zu Wissenschaftlern, Analytikern, so dass man einen Text interpretieren kann, aber die Lektüren sind nicht gegenwärtig. Also wo ist zum Beispiel „Gott ist nicht schüchtern“ oder „Martha tanzt“ oder „Alle außer mir“ – das ist alles Gegenwartsliteratur. Damit würde man junge Menschen dort abholen, wo sie jetzt sind. Natürlich hat „Die Leiden des jungen Werther“ eine Zeitlosigkeit, aber man kann eine (traurige) Liebesgeschichte auch mit Gegenwartsliteratur erzählen.
Was das Elternhaus angeht, gibt es natürlich den „Vorlebeeffekt“, wobei meine Eltern beispielsweise keine großen LeserIn gewesen sind. Bei mir ist die Sucht von selbst gekommen mit dem ersten „Bussy Bär“-Heft. Wobei mein Vater mir auch immer irgendetwas zu Lesen mitgebracht hat. Menschen von heute wachsen in dieser über Entertainment-Welt auf und sie haben die Wahl, wie sie sich amüsieren und entspannen und versuchen, die Realität auszublenden.
Ja, was können Eltern tun? Vorlesen, nachspielen, Bibliotheksausweis zur Einschulung oder sobald das Kind lesen kann schenken.
Die Bildungspolitik hat den Auftrag, Lesen zu fördern und Literaturvermittler zu sein. Die Umsetzung ist zäh und ausbaufähig. Was sollte hier besser gemacht werden?
Nina George:
Wir brauchen unbedingt eine Leseförderung! Wir sind in den letzten 10 Jahren haben die Kinder ihre Lese- und Verstehensfähigkeit verloren. Ich habe die genauen Zahlen nicht präsent, aber ich glaube jede vierte oder fünfte 10- oder 12-Jährige/r ist nicht fähig, einen Text flüssig zu lesen und ihn zu verstehen. Jede siebte oder achte Erwachsene ist ebenfalls auf dem Status der Lesefähigkeit eines 12-jährigen. Wenn diese schon Texte nicht lesen oder verstehen können, dann muss man sich fragen, wo wir sind dann überhaupt heute in einer Gesellschaft, wo bildet die sich ihre Meinung? Also: Mehr Lesen, mehr Zugang, mehr Schulbibliotheken, mehr Geld in Leseförderung, auch für Projekte abseits der Schule, Lese- und Bildungsgutscheine.
Die mehrmals im Jahr erscheinenden Novitäten werden immer erschlagender – wobei Quantität nicht unbedingt Qualität entspricht. Gibt es zu viele überflüssige Bücher?
Sehen Sie das auch so?
Nina George:
Da wohnen zwei Seelen in meiner Brust. Die eine sagt, „jedes Buch hat seine Berechtigung, absolut, egal wie es geschrieben ist“ und wenn mich so ein literarischer Unfall wie „Fifty Shades of Grey“ wahnsinnig ärgert und ich ihn unnötig vom Inhalt und der Schreibe finde, so war er dennoch für irgendetwas nötig und sei es für die Neugier für die Demokratisierung einer neuen Art von Literatur. Auf der anderen Seite sehe ich, dass die Verlage immer schneller veröffentlichen, die Rotation der Bücher ist immer schneller geworden. Früher war es so, dass man sagte, in den ersten drei Monaten hat ein Buch die Chance, sich zu etablieren. Inzwischen muss es in den ersten sechs Wochen nach Erscheinen einen oberen Platz haben, sonst fliegt es wieder raus. Dadurch sinken insgesamt alle Auflagen, dadurch bleibt bei dem Verlag und dem/der Autor/In nichts hängen, dadurch wird noch mehr auf Bestseller geschielt und auf Mainstream. Die Lektoren/Innen trauen sich immer weniger und man muss einen großen Namen haben, um solche Bücher schreiben zu dürfen wie ich, wo sich irgendwann auch einmal zwei Frauen küssen. Das kann eine Debütantin nicht machen, ohne dass sie woanders hingeschickt wird.
Die Buchbranche kanibalisiert sich selbst und im Moment weiß eigentlich keiner warum. Verlage antworten gerne, dass sie der Digitalisierung nachkommen möchten, aber es gibt doch genug Bücher.
Ihre Bücher und Geschichten strotzen trotz mancher Melancholie zwischen den Zeilen von einer ansteckenden, humorvollen Lebensfreude. Woher nehmen Sie diese Kraft und Lebensfreude? Was hat Sie beeinflusst und tut es noch immer?
Nina George:
Die Lebensfreude, das Lachen, die Liebe zu anderen Menschen ist sozusagen das sichtbare Extrem auf einer gedachten Linie. Am anderen Ende der Linie ist die ganz tiefe Verzweiflung. Seit ich weiß, dass ich vom chinesischen Elementsystem das Element Wasser repräsentiere, kann ich inzwischen verstehen, warum manchmal jeder meiner Zellen erfüllt ist von Verzweiflung, von Todeswunsch, Müdigkeit, von Wut, Jähzorn – oder aber auch von Liebe und Leidenschaft und übersprühender, absolut ungebändigten Optimismus. Wenn man einen Tropfen Farben in ein Glas Wasser gibt, färbt sich das ganze Wasser. So ein Gefäß bin ich. Entweder ganz und gar lebensfreudig oder ganz und gar verzweifelt. Und seit ich das weiß, warte ich ab, bis sozusagen das dunkle Wasser abgeflossen ist. Dann klärt sich das wieder und dann kann ich wieder eine andere Farbe rein gießen. Und ganz pragmatisch: Ich brauche Schlaf, heiße duschen, im Meer schwimmen und mein Tango Argentino. Ich brauch auch, dass meine Liebe irgendwo ein Ziel hat. Ich tue mich sehr schwer damit, geliebt zu werden, obgleich mein Mann mich auf eine Art und Weise liebt, die mir auch ein Zuhause, Sicherheit und Kraft gibt. Aber das schlimmste wäre für mich, wenn ich nicht wohin wüsste mit meiner Liebe – oder meiner Wut, die auch ein großer Antrieb für mich ist.
Die Zusammenarbeit zwischen Autoren und Verlagen ist ein Spagat zwischen künstlerischer Kreativität und knallharter finanzieller Marktwirtschaft.
Was sind aus Ihrer Sicht die größten Kritikpunkte an die Verlage in der Zusammenarbeit mit den Autoren und welche wichtigen Empfehlungen würden Sie Autoren, die mit ihrem ersten Buch an einen Verlag herantreten, ans Herz legen?
Nina George:
Wenn es gut läuft mit dem Verlag ist ja alles gut. Wenn es aber hakt, dann hakt es an relativ banalen Dingen. Das erste ist Kommunikation. Wie spricht eine Lektorin über das Werk, das sie gerade auf dem Tisch hat zu der Urheberin? Kommuniziert sie überhaupt? Ist überhaupt eine Response aus dem Verlag? Wenn ich zum Beispiel weiß, ein großer Verlag macht eine Mischkalkulation. Nicht alle AutorInnen können in der A-Klasse ein Spitzentitel sein. Das bedeutet, es gibt sie, die Kategorien A, B und C und die Programmauffüller und die Backlist. Es ist eine Verletzung, die zum Job gehört, vermutlich als C-Titel oder als Programmauffüller einzusteigen. Man kann sich damit schon ausmalen, was alles nicht passiert: Die Presse wird nicht viel machen, die Buchhändler bekommen nicht viel davon mit, dass dieses Buch erschienen ist, es sei denn eine Verlagsvertreterin macht darauf aufmerksam. Das ist eine Demütigung mit der einerseits die AutorIn leben müssen, das es sowohl die Kunst gibt, als auch den Markt. Es hapert auch bei Verlagen an rechtlichen Vertragsformalien. Ich bekomme manchmal Verträge von Kollegen zugesandt, die nicht unbedingt zur guten Beziehung beitragen. Gerade Debütantinnen sind manchmal ganz froh, dass sie endlich von einem Verlag eingekauft werden und übersehen, dass sie eigentlich rechtlich ausgezogen werden. Dass sie ihre Rechte manchmal bis 70 bis 120 Jahre nach dem Tod dem Verlag überantworten für keine ausgewogene Beteiligung.
Vertragsverhandlungen ist wie Tennis, das ist schon einmal der erste Tipp für angehende AutorInnen. Nur weil man irgendetwas doof findet oder streichen oder umformuliert lassen möchte, heißt das nicht, dass sie einen nicht drucken oder lieb haben. Emotionen haben in Vertragsverhandlungen nichts zu suchen, eher etwas spielerisches. Jemand macht den Aufschlag und der andere schlägt zurück und irgendwo trifft man sich. Man kann sich in der Mitte treffen, ohne das dem Verlag ein Nachteil entsteht, der ja auch kalkulieren muss, oder der Autorin. Man sollte also Mut haben, aufeinander zuzugehen, Mut zu verhandeln, vielleicht auch andere, erfahrene Autor/Innen haben anzusprechen und um Hilfe zu bitten.
Unbedingt eine wichtige Regel: „never accept first office“.
Dann auch den Mut haben, neue , andere Geschichten zu schreiben, mit ungewöhnlichem Ende, die etwas anderes sind, als die „mee toos“-Bücher = „so wie“.
Dritter Tipp für angehende AutorInnen: Unbedingt bei dem bleiben, was sie sind und sich nicht verbiegen lassen. Nicht dem Markt hinterherschreiben, weil der sich nächstes oder übernächstes Jahr bereits geändert hat. Man muss gut sein und besonders. Besonders ist man nur, wenn man eine eigene Stimme hat.
Vierter Tipp: Vorsicht vor abgegriffenen Metaphern und abgelutschten Gefühlen.
Fünfter Tipp: Gefühle in Handlungen übersetzen, man nennt das „show, don`t tell“.
Sechster Tipp: Jeder hat eine innere Stimme und dummerweise hat diese zwei Seite. Das ist einmal die zensorische Stimme, dann gibt es noch die vorsichtige Stimme, die sagt, „es ist schon ganz gut, was Du geschrieben hast, aber noch nicht das, was du eigentlich erzählen willst“. Zieh Dich aus, mach Dich nackig und zeige uns Deine Knochen – dieser kleinen Stimme sollte man unbedingt folgen.
Der Literaturkritiker Denis Scheck hat „Das Lavendelzimmer“ als „Tiefpunkt“ seinerzeit zerrissen. Trifft Sie eine solche Kritik, obwohl sich dieses Buch von LeserInnen begeistert als Bestseller ausgezeichnet hat?
Wie gehen Sie allgemein mit Rezensionen um, lassen Sie positive wie negative Kritik an sich ran?
Nina George:
Denis Scheck ist ein „Drehorgeläffchen“, so stelle ich ihn mir vor. Bücher in den Müll zu werfen macht sicher Quote und es gibt bestimmt viele, die diese Unterhaltung schätzen; ich habe sie schon vorher nicht geschätzt. Ich weiß auch, dass dieser Mann nicht dazu kommt, die von ihm rezensierten Bücher zu lesen. Er weiß nicht, was auf der Bestsellerliste ist, das erfährt er vielleicht vier, fünf Tage vorher, meistens ist es die Redaktion, die es zusammenfasst. Außerdem weiß ich, dass dieser Mann ein Buch schreiben wollte über Bücher, die wie Medizin wirken. Das wusste ich aber alles erst nachher, als ich das gesehen habe im Fernsehen. Ich habe mich geschämt, noch ein Jahr später. Obgleich es mich wahnsinnig gefreut hat, dass ein paar Monate später, Ophra Winfrey mein „Lavendelzimmer“ als „The little paris bookshop“ auf der New York Times Bestsellerliste es über den grünen Klee gelobt hat. Herr Scheck kann natürlich kritisieren und doof finden, wie er möchte, auch harte Worte dafür finden, kein Problem. Aber er beleidigt damit auch die Leser, die die Bücher mögen – und das finde ich affig.
Grundsätzlich lese ich keine Rezensionen, aber ich suche mir meine Kritiker im Vorfeld, weil ich etwas bestimmtes von ihnen möchte, zum Beispiel ist es verständlich, psychologisch schlüssig, habe ich eine Länge drin, kommst du gut in die Geschichte rein? Ich stelle also Fragen und möchte ein bestimmtes handwerkliches Feedback.
Ansonsten sehe ich Kritiken und Resonanzen so, dass sie ein Resonanzkörper sind, wo sich das Ich desjenigen spiegelt und auch das Ich, was es zu dem Zeitpunkt ist.
So sehe ich Kritiken, die mir ganz viel über die rezensierende Person sagen, aber nicht über mein Buch.
Was halten Sie von den unzähligen Rezensionen-Blogs, die manchmal von der Schokolade über Teesorten auch Bücher besprechen? Für wie wichtig halten Sie diese Bücher-Blogs und für wen?
Nina George:
Ich glaube, dass sich jeder Bücher auf seine eigene Art aussucht. Die einen gehen zur Buchhändlerin, die nächsten sprechen mit der besten Freundin, die übernächsten blättern vielleicht Zeitungen durch und auch auf Blogs.
Ich lese gerne den Blog von Sophie Weigand und die Buchkolumne, Arnd von Strocher, Uwe Kalkowski und einige andere. So wühle ich mich auch immer wieder durch Blogs, egal ob die auch Teppiche und Bücher oder nur Bücher besprechen, das macht nichts, solange ich dort eine Nähe und Inspiration verspüre.
Sie machen in „Die Schönheit der Nacht“ Frauen Mut, ihre verborgenen inneren Gefühlen zuzulassen und auszuleben. Eine ganze Weile glaubt der Leser zu ahnen, wie sich das Ende zwischen den beiden Frauen entwickelt, wird dann aber letztlich überrascht.
Haben Sie bewusst dieses Ende gewählt, um das Loslassen der Gefühle nicht in eine (bewusst) veränderte sexuelle Neigung enden zu lassen?
Nina George:
Ich habe die Liebesgeschichte eines Ehepaares erzählt, das weiß ich als Autorin, von daher war mir das Ende schon vorher klar. Wäre das jetzt ganz hetereokonform, also Mann-Frau, mal ehrlich, was hat eine 19-jährige mit einer 45-jährigen zu tun? Sie muss noch raus und leben, das ist eigentlich das Zentrum. Es geht um die Frage, kann ich schon jemanden, der noch so jung ist, binden? Das war eigentlich die Botschaft für die jüngere Figur. Mir war ganz wichtig, dass die junge Julie nicht gebunden wird.
Hat es sie überrascht, dass „Die Schönheit der Nacht“ Platz 1 auf der amazon-Bestsellerliste als „Erotikratgeber für Lesben“ stand?
Nina George:
Ich fand es sensationell und habe mich unglaublich geehrt gefühlt.
Sie haben auch keine Angst, ungewollt damit vielleicht in diese Genre-Schublade zu rutschen?
Nina George:
Meine amerikanische Agentin sagte zu diesem Buch „famolous romance“ und damit ein Genre erfunden, weil sie ein wenig Bammel hat, wie der amerikanische Verlag wohl reagiert hat damit schon einmal vorsichtshalber das Etikett „famolous romance“ drauf gepackt, was ich mit einigermaßen Schmunzeln goutiert habe. Ich denke, es ist ein Vorteil, dass ich Nina George bin. Wozu ist denn Literatur da, die Schublade wird schon irgendjemand anderer drauf setzen. Aber gerade was ich über Schubladen denke, sagt auch Claire selbst in diesem Buch. Deswegen sehe ich das sehr gelassen und bin froh, dass in einem großen Publikumsverlag so etwas möglich ist. Vielleicht öffnet das ja mal Türen, die unnötig verschlossen sind. Ich habe mich auch in Frauen verliebt, in die Seele, in die Person.
Als Frau kennt man die Faszination, die Kraft, Entschlossenheit und Bewunderung, die vom eigenen Geschlecht ausgeht. Sie beschreiben sehr feinfühlig und bildhaft die sexuelle Liebe zu einer Frau und zwischen zwei Frauen. Haben Sie diese Liebe selbst so erfahren?
Nina George:
Als ich etwas jünger war, so zwischen meinen zwanziger und dreißigern, habe ich sie erfahren. Nicht unbedingt so zart und leidenschaftlich und frei, weil es zwischen Frauen geschah, die sich eigentlich vorher eigentlich dem Manne zugeneigt wähnten, was für beide überraschend war. Ich habe das dann aber noch mal wiederholt mit einer vermeintlich heterosexuellen Frau und die dann auch positiv überrascht war. Das Verlieben mit Frauen das passiert mir ungefähr ein bis zweimal im Jahr. Ich kann es noch nicht genau fassen; ist es die Person, ist es die Seele, vielleicht auch die Kraft und die Schönheit, die ich in Frauen sehe. Da geht mir das Herz auf und die Sehnsucht setzt sich dann fort in meine Zellen hinein und meine Finger, die dann etwas berühren wollen oder meine Nase an etwas riechen wollen, sie supporten wollen oder ihr nah sein wollen oder sie beim Lachen von weitem beobachten wollen. Ich genieße das sehr.
Wir sind zwar heute insgesamt in vielerlei Hinsicht toleranter, auch gegenüber sexueller Neigung und Vorlieben geworden, aber auch konformer und mit Bedacht (oder der Angst), gesellschaftlich nicht anzuecken. Wir Frauen haben heute den Balanceakt zwischen Familie und Karriere zu stemmen und dabei noch attraktive Geliebte zu bleiben. Es scheint, dass wir nach wie vor konservativen Werten unterliegen, die sich nur zeitgemäß angepasst haben.
Sind wir Frauen heute gar nicht so frei, wie wir glauben und warum haben in unserer Gesellschaft heute noch Angst, unsere wahren inneren Gefühle, Wünsche, sexuelle Neigungen/Vorlieben offen auszuleben und zu zeigen?
Nina George:
Ich denke, wir befinden uns gerade in einer Hochphase des Queeres. Einerseits wenn ich auf Leute sehe wie Margarete Stokowski, die jetzt „Die letzten Tage des Patriarchats“ raus gebracht hat, die Hashtags, die Debatten, auch in der Literatur, dass sich plötzlich Menschen, die Liebesgeschichten schreiben, vorwerfen lassen müssen, dass es schon wieder Mann und Frau ist, da denke ich mir, das ist ein extremer Vorwurf, aber er ist nötig für diesen Diskurs. Wir haben einen ganz lebendigen Diskurs mit ganz vielen extremen Sorten, auch mit einem neuen Puritanismus. Ich sehe bei den jungen Frauen, die Anfang bis Mitte zwanzig sind, einen Puritanismus gepaart mit einem roll back und einer Abkehr von dem Feminismus, dass es mich graust. Das ist das eine Extrem. Das andere Extrem ist, dass man sich schon manchmal schämen muss, wenn man nicht queer ist und schreibt. Beide Extreme machen es zu einem ganz lebendigen Diskurs. Für mich habe ich das Gefühl, wir stehen höchstens einen halben Schritt weiter als zu der Zeit als Simone Beauvoir „Das andere Geschlecht“ geschrieben hat. Es ist jetzt an uns, irgendwie Formate zu finden, eigener Umgang damit, wie bewegen wir es. Ich habe mich entschieden, es mit Humor und Zahlen zu nehmen. Humor bedeutet, dass ich mich nicht traurig davon machen lasse und auch mit Genderklischees herumspiele, wenn es lustig ist.
Zahlen bedeutet, dass ich dieses Projekt „Frauen zählen“ ins Leben gerufen habe, weil Zahlen sprechen. Wenn die Zahlen sagen, dass alleine von der Häufigkeit plus Textumfang Männer zu 75 Prozent über Männer schreiben in der Literaturkritik bei ausgezählten 69 Medien ausgezählt , und nur 25 Prozent des Platzes und der Häufigkeit für Frauen ist, dann kann von einem strukturellen Problem sprechen.
In der Ehe zwischen Claire und Gill gehen beide diskret mit häufigen außerehelichen Beziehungen fremd. Es ist offensichtlich, dass jeder etwas sucht, was er beim anderen nicht findet und trotzdem scheint sie letztlich etwas zu verbinden, was über die Tatsache des gegenseitigen Vertraut seins, der Gewöhnung und einer langen Ehezeit hinausgeht. Claire und Gill zeigen, dass ihre Ehe trotz Fremdgehen und Vertrauensbruch nicht scheitert – was in der Realität meist anders ist.
Ist es ihre persönliche Vorstellung, dass die Ehe doch funktionieren kann, wenn man mehr in einer „offenen“ Ehe lebt, also dem anderen nicht nur seine Freiheiten und durchaus auch andere sexuelle Partner lässt?
Nina George:
Darüber habe ich lange nachgedacht. Menschen verändern sich und wenn man eine lange Zeit zusammen ist, ist für mich ein Ausdruck der Liebe, die Großzügigkeit es hinzunehmen, dass der andere auch mal eine wie auch immer geartete Not oder Lustsituation kommen kann – und das unabhängig von Liebe , Freundschaft und Vertrauen stattfinden kann. Ich für mich würde es ungern wissen wollen, da bin ich ganz wie Claire. Aber ich habe für mich mit mir klar gemacht, daran wird es nicht scheitern, überhaupt nicht. Ich würde mir das auch von meinem Mann wünschen und ich weiß auch, dass er so denkt, weil wir beide etwas unverbrüchliches haben, dessen wir uns ganz bewusst sind.
Offene Ehen finde ich schmerzhaft; ich habe noch keine glückliche offene Ehe getroffen, vielleicht kenne ich mit den fünf oder sechs auch zu wenig, um eine statistische Signifikanz herzustellen. Aber einer oder eine leidet dabei immer.
Ich denke, dass Mut und Großzügigkeit an gewissen Sachen nicht hinzusehen, dass das ein Teil der Liebe ist, daran glaube ich fest.
Ich glaube auch, dass der Unterschied zwischen deutscher und französischer Sozialisation das möglich macht, in Frankreich diesen Mut und Großzügigkeit tatsächlich zu haben.
Sie beschreiben den Tango nicht nur als Lebensgefühl sondern als einen Tanz, in dem zwei Menschen, sich mit der Musik und in dem Führen und Folgen, die Bewegung des anderen zu spüren, noch bevor sie ausgeführt wurde, aufeinander einlassen müssen und dadurch eine ganz besondere Vertrautheit und Nähe erleben.
Ist es vorstellbar, dass Tango in der Paartherapie eingesetzt werden könnte?
Nina George:
Tango offenbart bei einem Paar alles, was nicht stimmt – das könnte gefährlich werden. Es offenbart dann plötzlich, dass sie sich wünscht, er möge doch führen und er will das auch, sie folgt ihm aber einfach nicht. Von den Hierarchiegemengen, die nur scheinbar sind, das halte ich in der Paartherapie für nicht ungefährlich. Das erstaunliche beim Tango ist ja, dass weder einer dominiert noch der andere sich unterwirft, sondern es ist ein Zusammenspiel der Körper und ein permanenter Dialog.
Welche Bedeutung hat Tango für Sie?
Nina George:
Es ist eine Bewegungsform die ich von allen Bewegungsformen, inkludiert die horizontale, am glücklichsten macht.
Sie haben angekündigt, 2019 Ihre Arbeiten für das PEN-Zentrum Deutschland und im Bundesvorstand des Verbands deutscher SchriftstellerInnen für das Urheberrecht niederlegen sowie zahlreiche andere Vorstandsposten niederzulegen.
(Vorstand in den von Ihnen gegründeten Initiativen „Ja zum Urheberrecht“, „Fairer Buchmarkt“ und „Netzwerk Autorenrechte“ sowie die Ämter als VG-Wort-Verwaltungsrätin und Vorstandsmitglied des internationalen Verbunds „Three Seas Writers` and Translator`Council“.)
Wie haben Sie all diese Ämter neben Ihrer schriftstellerischen Arbeiten ausfüllen können?
Welche Ziele, Hoffnungen, Wünsche geben Sie an Ihre NachfolgerIn ab, die sich noch nicht erfüllt haben, die Sie aber gerne in Zukunft umgesetzt wissen möchten?
Nina George:
Ich habe mich ziemlich selbst ausgebeutet, in dem ich 80 Prozent meiner Zeit ehrenamtlich für die drei Organisationen und für die anderen Projekte investiert habe und das ist anstrengend und hat mich müde gemacht und das möchte ich nicht mehr. Ich möchte Geschichten erzählen, weil das kann ich gut. Ich verliere aber diese Fähigkeit, je weniger ich mich darauf konzentriere.
Was ich mir von NachfolgerInnen wünsche ist, dass sie die Buchbranche nicht spalten. Die alte Gewerkschaftshaltung „wir gegen die Verlage“ ist in der digitalen Zeit längst überholt . Das heißt, wir müssen schauen, wo haben wir gemeinsame Interessen und können die vertreten. Die Bereitschaft, binneninterne Probleme mit Klarheit zu lösen und Kooperationsbereitschaft, wenn es um gemeinsame Probleme geht.
Und jetzt die drei letzten typischen „Bücher leben!“-Fragen:
Wann arbeiten Sie? (morgens, mittags, abends, immer)
Nina George:
Permanent, weil zum Arbeiten gehört Denken und ich denke permanent, außer wenn ich schlafe.
Wie arbeiten Sie? (PC, per Hand, Laptop)
Nina George:
Ich arbeite mit meinem Laptop. Ich schreibe mittlerweile so schnell, dass ich damit meinen Gedanken so am besten folgen kann. Ich kann nicht so schnell mit der Hand schreiben.
Wo arbeiten Sie? (Arbeitszimmer, Küchentisch, Baumhaus, überall)
Nina George:
Meistens an meinen Arbeitstischen in der Bretagne oder in Berlin. Aber auch unterwegs im Zug, im Hotelzimmer, auf der Autobahnraststätte. Überall, wo ein Tisch ist und ein einigermaßen bequemer Stuhl.
Interview: Sabine Hoß