Sabine Ludwig, geboren 1954 in Berlin, gehört zu einer der bekanntesten deutschen Kinderbuchautorinnen und ist eine hervorragende Übersetzerin aus dem Englischen. Nach ihrem Studium der Germanistik, Romanistik und Philosophie hängte sie nach einer kurzen Tätigkeit an einem Berliner Gymnasium den Lehrerberuf an den Nagel. Sie arbeitete als Regieassistentin, Pressereferentin und Rundfunk-Redakteurin. Außerdem verfasst sie Hörspiele, Theaterstücke und arbeitet als Journalistin für den Rundfunk und Printmedien.
Seit 1987 ist Sabine Ludwig Kinderbuchautorin und besitzt sie eine breite Bücher-Palette von Krimis (z.B.„Serafina und die große Suppenverschwörung“), Geschichten mit Tieren (z.B. „Katzenrabatz“, „Mops und Molly Mendelssohn“), Freundschaftsgeschichten (z.B. „Weihnachten mit lila Lametta), Familiengeschichten (z.B. „Mein kleiner Monsterbruder“) oder auch Mädchengeschichten (z.B. die „Frieda“-Bücher). Ihre Bücher zeichnen sich durch einen besonderen ironischem und frechen Witz aus, der nicht nur eine gute Beobachtungsgabe von alltäglichen Problemen, Konflikten und Situationen widerspiegelt sondern auch auf frische und leichte Weise auf wichtige und ernsthafte Werte wie Verantwortung, Ehrlichkeit, Freundschaft usw. aufmerksam macht. Mit dieser Kombination begeistert sie nicht nur Kinder sondern auch erwachsene Leser.
Ausgezeichnet wurde sie 1993 mit dem Bettina-von Arnim-Preis für Kurzgeschichten, 2005 mit dem Hansjörg-Martin-Preis für den besten deutschsprachigen Kinder- und Jugendkrimi und 2010 wurde sie vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels zum „Lesekünstler des Jahres“ gewählt.
Ihre Übersetzungen von „Winn-Dixie“ und „Despereaux“ von Kate DiCamillo wurden 2002 und 2005 zum Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert. Diese beiden Bücher wurden auch als Hörbuch des Jahres ausgezeichnet.
Sabine Ludwig hat auch alle Bücher von Eva Ibbotson übersetzt, wie die „Charlie!“-Reihe von Hilary McKay, zahlreiche Bücher von Kate DiCamillo und auch von Holly-Jane Rahlens.
Obwohl die vielbeschäftigte und sympathische Autorin eigentlich keine Zeit hat, schenkte sie mir doch ein wenig davon für dieses Interview. 🙂
Frau Ludwig, Sie haben zunächst auf Lehramt studiert, dann aber nach kurzer Tätigkeit diesen Beruf aufgegeben und sich einem völlig anderem Berufsfeld zugewandt, der im künstlerischen Bereich anzusiedeln und daher finanziell eher unsicher ist. Was war die Erkenntnis, doch nicht Lehrerin zu werden und der Auslöser, auf einem völlig neuen Gebiet Erfüllung zu finden?
Sabine Ludwig:
Der Grund war simpel, es gab damals vor 30 Jahren keine Stellen für Lehrer. Und mit Deutsch und Französisch hatte ich sowieso keine Chance. Nach meinem Intermezzo an einem Berliner Gymnasium – es war ausgerechnet das, an dem ich selber Schülerin gewesen war – hatte ich aber auch keine große Lust mehr, diesen Beruf auszuüben. Aber das ist eine ganz eigene Geschichte …
Wie ist dann der Entschluss gereift, Kinderbücher zu schreiben?
Sabine Ludwig:
Das war reiner Zufall. Ich hatte bereits viel für den Hörfunk geschrieben, Essays, Feature, Hörspiele, als mich eine Redakteurin fragte, ob ich mir vorstellen könnte, auch Geschichten für Kinder zu schreiben. Zuerst schien mir das unmöglich, weil ich zu dem Zeitpunkt mit Kindern eigentlich gar nichts am Hut hatte. Dann habe ich über das einzige Kind geschrieben, das ich wirklich gut kannte, nämlich über mich selbst. So sind die Geschichten von der frechen Frieda entstanden.
Haben Sie zuerst eigene Kinderbücher geschrieben oder andere aus dem Englischen übersetzt?
Sabine Ludwig:
Ich hatte schon über zehn Jahre Kinderbücher geschrieben, als mich meine Lektorin fragte, ob ich für sie nicht etwas übersetzen wollte. Aus dem Französischen hatte ich schon einiges übersetzt, also sagte ich ja, war dann aber sehr irritiert, als es sich um ein englisches Buch handelte, nämlich um „Das Geheimnis von Bahnsteig 13“ von Eva Ibbotson. Ich war aber so begeistert davon, dass ich es unbedingt übersetzen wollte. Mittlerweile habe ich genauso viele Bücher übersetzt wie geschrieben.
Sie haben bis auf einziges („Der Libellensee“) alle Kinderbücher der englischen Autorin Eva Ibbotson wunderbar übersetzt, die nicht zuletzt dadurch auch hierzulande großen Anklang gefunden haben.
Was muss ein Kinderbuch ausmachen, damit sie überzeugt davon sind, dass es eine Übersetzung wert ist?
Sabine Ludwig:
Es geht mir bei der Auswahl nicht darum, ob die Bücher eine Übersetzung wert sind, sondern ob ich sie wirklich gut übersetzen kann. Und das kann ich nur, wenn ich sie sehr mag. Ich bezeichne mich gern als „Nebenerwerbs-Übersetzerin“, wenn ich das hauptberuflich machen würde, könnte ich mir diesen Luxus sicher nicht leisten.
Haben Sie die Autorin Eva Ibbotson (sie verstarb im Oktober 2010) einmal persönlich kennengelernt?
Wenn ja, erschwert ein persönlicher Kontakt vielleicht in gewisser Weise eine Übersetzung oder erleichtert es eher oder hat es gar keinen Einfluss auf die Arbeit?
Sabine Ludwig:
Eva Ibbotson habe ich leider nie persönlich kennengelernt. Aber mit Kate DiCamillo war ich vor zwei Jahren auf Lesereise, was mir einen riesigen Spaß gemacht hat. Sie ist unglaublich witzig und amüsant. Allerdings hatte ich vor dieser Begegnung auch etwas Angst. Ich spreche nämlich nicht besonders gut englisch – meine Tochter lacht sich über mein Ti-Ätsch immer schlapp -, aber Kate hat es mich nicht merken lassen.
Ein persönlicher Kontakt ist natürlich hilfreich, wenn man an einer Stelle im Buch nicht sicher ist, wie der Autor sie gemeint hat. Er kann die Arbeit aber auch erschweren. Ich habe zwei Bücher von Holly-Jane Rahlens übersetzt, die Autorin kenne ich seit vielen Jahren und sie spricht fließend deutsch. Da stand ich beim Übersetzen natürlich unter einem besonderen Druck, nicht zuletzt, weil ich den Ehrgeiz hatte, diesen speziellen New-Yorker Witz auch im Deutschen adäquat wiederzugeben.
Wie gehen Sie an eine Übersetzungsarbeit heran, wie unterlegen Sie Ihre Sprache dem Original? Übersetzen Sie Satz für Satz oder Kapitelweise oder…?
Sabine Ludwig:
Meine Übersetzungen verlaufen in mehreren Schritten. Zuerst einmal lese ich das Buch. Es gibt Kollegen, die das z.B. nicht machen, sondern sich von der Geschichte überraschen lassen. Aber während ich lese, übersetze ich in Gedanken bereits und entscheide mich für den Sprachstil. Dann fertige ich eine Rohübersetzung an, danach kommt der Feinschliff und zum Schluss – und das ist der wichtigste Teil – lege ich das Original beiseite und gehe Wort für Wort den deutschen Text durch. Leider steht man oft unter einem solchen Abgabedruck, dass dafür kaum die nötige Zeit bleibt.
Die Leistung und Arbeit der Übersetzerinnen und Übersetzer erhalten trotz der zahlreichen Lizenzen immer noch nicht die nötige Anerkennung; die Bezahlung ist immer noch schlecht und nur selten erscheinen sie auf dem Buchcover.
Glauben Sie, dass eine eigene sehr erfolgreiche schriftstellerische Tätigkeit eine entsprechend höhere Wertschätzung und Aufmerksamkeit für die übersetzende Arbeit mitbringt?
Sabine Ludwig:
Das wäre schön, ist aber leider nicht der Fall. Die wenigsten achten darauf, wer ein Buch übersetzt hat. Am meisten ärgern mich Rezensionen, in denen der Witz oder die Poesie der Sprache ausdrücklich gelobt werden und der Übersetzer noch nicht einmal genannt wird.
Welche Veränderung in der Wertschätzung der Übersetzungen würden Sie sich von den Verlagen wünschen?
Sabine Ludwig:
Die Wertschätzung müsste sich natürlich in erster Linie in Honoraren widerspiegeln, die dem Arbeitsaufwand auch entsprechen, und der ist von Buch zu Buch völlig unterschiedlich. Manchmal muss man lange recherchieren – ich weiß inzwischen alles über Baseball und die Tierwelt in Brasilien – , manchmal dichten und oft auch Fehler ausbügeln, wenn es der Autor nicht so genau nimmt und Potsdam mal eben zur Hauptstadt von Ostpreußen macht oder Berlin geographisch in die Nähe von Wien rückt.
Es gibt Verlage, die sehr wohl wissen, was ihre Übersetzer wert sind, und dies auch zeigen, indem sie z.B. nicht nur die biographischen Daten des Autors abdrucken, sondern auch die des Übersetzers. Das sollte Schule machen.
Auch wenn das sicher eine oft gestellte Frage ist: Woher kommen die Ideen für Ihre eigenen Bücher?
Sabine Ludwig:
Eigentlich führe ich ein stinklangweiliges Leben. Ich mache keine aufregenden Reisen, wenn man von Lesereisen nach Bielefeld oder Kyritz an der Knatter mal absieht. Meine Ideen beziehe ich ausschließlich aus meinem Alltag und vielleicht können sich deswegen auch so viele meiner kleinen und großen Leser in meinen Büchern wiederfinden. Oft ist es ein kleiner Auslöser – ein durchdrehendes Navi, eine aufgeschnappte Bemerkung – aus dem sich dann eine Geschichte entwickelt.
Wenn Sie eine bestimmte Idee haben, wissen Sie schon am Anfang, ob es ein Krimi oder eine Freundschaftsgeschichte oder eine Tiergeschichte oder eine ganz verrückte Klassengeschichte wird oder entwickelt sich das erst beim eigentlichen Schreiben?
Sabine Ludwig:
Ds ist unterschiedlich. Manchmal weiß ich das von Anfang an, manchmal entwickelt es sich beim Schreiben. „Die schrecklichsten Mütter der Welt“ waren ursprünglich nicht als Krimi angelegt, das passierte praktisch ohne mein Zutun.
Muss man heute anders für Kinder schreiben als vor 25 Jahren, um sie als Leser zu und hat sich dabei Ihr eigener Schreibstil verändert?
Sabine Ludwig:
Mein Schreibstil hat sich über die Jahre hinweg sicher verändert, aber nicht grundsätzlich. Und ich glaube auch nicht, dass man „moderner“ schreiben muss, um Kinder zu erreichen. Ganz im Gegenteil. Meine Frieda-Geschichten sind zum Teil 25 Jahre alt, aber sie funktionieren heute wie damals. Natürlich muss ich bei Neuausgaben meiner Bücher Kleinigkeiten ändern, so weiß sicher kein Kind mehr, was ein Telegramm ist, aber der Ton bleibt derselbe. Ich habe bei Lesungen auch die Erfahrung gemacht, dass Kinder und v.a. Jugendliche es überhaupt nicht mögen, wenn man ihre Sprache „nachahmt“.
Sind Sie eine disziplinierte Arbeiterin mit festen Schreibtischzeiten oder lassen Sie sich gerne treiben bzw. müssen die Schreibzeiten mit anderen Projekten geplant werden?
Sabine Ludwig:
Ich muss mich leider disziplinieren, wenn ich mich treiben ließe, käme nicht eine Zeile zustande, denn ich tue alles andere lieber als schreiben. Ich notiere in meinen Kalender, wann das erste Kapitel fertig sein muss, das zweite usw. natürlich kann ich das nicht immer einhalten, dann muss ich „nachsitzen“.
Sie haben mit dem Thriller „Painting Marlene“ ein erstes Buch für Jugendliche geschrieben. War es für Sie eine persönliche Herausforderung nach Kinderbüchern auch einmal einen Roman für ältere Leser zu schreiben?
Sabine Ludwig:
Das war allerdings eine große Herausforderung, aber die Zeit war einfach reif dafür. Ich hatte bei meinen letzten Büchern für Kinder immer mehr das Gefühl, ich muss mich einschränken, darf nicht zu böse werden, zu ironisch. Bei „Painting Marlene“ konnte ich mal so richtig fies und gemein sein und das hat mir großen Spaß gemacht. Danach hab ich dann sehr gern einen Bilderbuchtext für Kleine geschrieben.
Auch Ihnen würde ich gerne die Frage stellen, wie Sie die Wertschätzung des Deutschen Jugendliteraturpreises persönlich sehen.
Glauben Sie, dass er noch die Wertigkeit wie vor 10, 20 Jahren besitzt?
Wenn nicht, was denken Sie, sind die Gründe dafür?
Haben Sie den Eindruck, dass er vom Buchhandel überhaupt präsentiert wird?
Sabine Ludwig:
Ich glaube, dass der Deutsche Jugendliteraturpreis heute ernster genommen wird als noch vor ein paar Jahren. Ich erinnere mich da an Preisverleihungen, die in einem Nebenraum mehr abgewickelt als gefeiert wurden. Heute ist es eine unterhaltsame, professionelle Veranstaltung und für sämtliche Vertreter der Kinder- und Jugendbuchszene ein absolutes Muss. Dass die Verlage mit Aufklebern auf nominierte und preisgekrönte Bücher aufmerksam machen, ist auch neu. Früher hieß es hinter vorgehaltener Hand, der Preis sei verkaufshemmend, den würden sowieso nur schwierige, unverkäufliche Titel erhalten. Für uns deutschsprachige Autoren war es allerdings immer ein Ärgernis, dass jedes Jahr so viele Lizenztitel nominiert wurden. Aber 2011 war ja, was die Preisvergabe betrifft, ein sehr gutes Jahr für die deutsche Kinder- und Jugendliteratur. Es ist zu hoffen, dass es auch so weitergeht.
Glauben Sie, dass der von der Jugendjury vergebene Preis mittlerweile eine höhere Bedeutung gewonnen hat als der von der erwachsenen Kritikerjury?
Sabine Ludwig:
Zunächst einmal finde ich es sehr gut, dass es die Jugendjury überhaupt gibt. Es gab ja die Befürchtung, die würde sich dann hauptsächlich an Bestsellern orientieren. Tut sie aber nicht, sondern überrascht jedes Jahr durch eine sehr interessante Auswahl, über die man sicher auch kontrovers diskutieren kann. Inwieweit nun der Preis der Jugendjury eine höhere Bedeutung hat als der der Kritikerjury vermag ich aber nicht zu sagen. Für mich ist er auf jeden Fall absolut gleichberechtigt.
Zum Schluss die berühmten drei Fragen:
Wann schreiben Sie? (Morgens, mittags, abends)
Sabine Ludwig:
Am liebsten sehr früh am Morgen
Wie schreiben Sie? (Laptop, PC, per Hand)
Sabine Ludwig:
Inzwischen schreibe ich alles auf dem Laptop.
Wo schreiben Sie? (Baumhaus, Arbeitszimmer, Küchentisch, überall)
Sabine Ludwig:
In meinem Arbeitszimmer. Ich gehöre zu denen, die einen festen Arbeitsplatz brauchen. Im Zug schlafe ich, im Hotelzimmer schaue ich schlechtes Fernsehen und in Cafés belausche ich die Gespräche anderer Gäste.
Liebe Frau Ludwig, ich danke Ihnen herzlich für die Zeit, die Sie sich für die Antworten genommen haben!
Ich wünsche Ihnen noch viele tolle und auch schräge Ideen für originelle Bücher mit einem ganz eigenen Witz und Biss. 🙂
Sabine Hoß