Salah Naoura, Jahrgang 1964, Sohn eines syrischen Vaters und deutscher Mutter, hat schon mit über vielen anderen, preisgekrönten Kinderbücher und Übersetzungen sein Talent und Können gezeigt. So erhielt er 2013 den Deutschen Jugendliteraturpreis für seine Übersetzung des Kinderromans „Der unvergessene Mantel“ von Frank Cottrel Boyce (Carlsen)
2012 stand sein Kinderbuch „Matti und Sami“ (Beltz & Gelberg) auf der Nominierungsliste zum Deutschen Jugendliteraturpreis, 2011 erhielt er für dieses Buch den Peter Härtling-Preis.
Das aktuelle Buch „Hilfe! Ich will hier raus!“ (Dressler) stand bereits vor dem Erscheinungstermin auf der Nominierungsliste zum Deutsch-französischen Jugendliteraturpreis.
„Bücher leben!“ wollte mehr über und von diesen interessanten, erfolgreichen Autor und Übersetzer wissen.
Vorneweg eine Frage, die erst einmal wenig mit Ihrer Arbeit zu tun hat. Haben Sie eine Erklärung dafür, dass in vielen Vita-Beschreibungen über Sie die Verbindung zu einer finnischen Herkunft zu lesen ist, obwohl Ihr Vater aus Syrien stammt und Ihre Mutter aus Berlin kommt?
Salah Naoura:
Ich nehme an, das liegt erstens am Vokalreichtum meines Namens, zweitens an der Tatsache, dass mein bekanntestes Kinderbuch, „Matti und Sami“, teilweise in Finnland spielt und drittens daran, dass ich Skandinavistik studiert habe – was viele Leute ebenfalls mit Finnland verbinden, obgleich Finnisch ja keine skandinavische Sprache ist. Ach ja … und viertens habe ich auch finnische Sätze in „Matti und Sami“ hineingeschmuggelt. Allerdings, muss ich zu meiner Schande gestehen, schrieb ich die zunächst auf Deutsch, dann wurden sie von einer Finnin in Finnland übersetzt und zuletzt von einer Finnin in Deutschland (nämlich von Anu Stohner) noch mal korrigiert. Ich selber kann leider kein Wort Finnisch.
Ihre Geschichten und Erzählweise sind fernab vom Mainstream in der Kinderliteratur. War es ein langer, schwieriger Weg, einen unangepassten Stil bei den Verlagen durchzusetzen?
Salah Naoura:
Es war überhaupt ein langer Weg zum Schreiben. Ich war lange Zeit ja ausschließlich Übersetzer und denke, dass das Übersetzen und der Tonfall vieler Bücher (insbesondere englischer), die ich übersetzt habe, meine Art zu Schreiben mitgeprägt hat. Das Unangepasste, Neue und Besondere ist immer ein schwieriges Unterfangen, da Verlage einerseits theoretisch Neues wollen, andererseits praktisch vor Neuem zurückschrecken, weil sie Umsatzeinbußen befürchten. In diesem Spannungsfeld bewegt man sich also ständig, wenn man wirklich kreativ sein möchte.
Die Hauptprotagonisten in Ihren letzten Kindernbüchern sind Jungen, die mit ihren persönlichen Schwächen kämpfen und sich auch mit denen der Erwachsenen auseinandersetzen müssen.
Salah Naoura:
Stimmt, in puncto Jungen, die sich mit schwierigen Erwachsenen herumschlagen müssen, spreche ich aus Erfahrung.
Haben Sie auch das Gefühl wie ich, dass die realistische Kinderliteratur meist getragen rüberkommt? Ist das nur in Deutschland so oder auch in anderen Ländern festzustellen?
Salah Naoura:
Ich habe das Gefühl, dass Deutschland in allen Bereichen der Kultur dazu neigt, strenge Grenzen zwischen U und E zu ziehen – was bei der KJL zur weit verbreiteten Meinung führt, dass alles, was mit Humor daherkommt, eben „nur“ Unterhaltung ist und keinen Tiefgang hat, geschweige denn irgendeinen literarischen Anspruch. Als Übersetzer sehe ich das wohl eher mit englischen Augen und denke, Unterhaltung, literarischer und inhaltlicher Anspruch und Humor und Dramatik können wunderbar Hand in Hand gehen (das tun sie in englischen Büchern zuhauf, auch in der Erwachsenenbelletristik), ich sehe da keinen Widerspruch. Zudem entspricht diese Art zu schreiben auch meiner privaten Sicht aufs Leben: Drama hat für mich immer eine humorvolle, absurde Seite – und umgekehrt. Daher sehe ich meine Bücher auch nicht als realistische KJL. Sie ist immer als Übertreibung und Sitcom (aber dabei durchaus auch ernst) gemeint.
Warum scheint es so schwierig, problematische und kompakte Themen mit intelligenter Überzeichnung, Witz und Biss zu verpacken?
Salah Naoura:
Ich finde das nicht schwierig … Aber es gibt wohl Menschen, die mit diesem Changieren zwischen Ernst und Humor nicht gut klarkommen. (Letztlich ist das einfach auch Geschmackssache.)
Sie sind Übersetzer und gleichzeitig Autor im Genre Kinder- und Jugendliteratur. Was sagen Sie zu der Behauptung zahlreicher Kollegen/Kolleginnen aus beiden Berufssparten, dass bei Preisen, insbesondere dem Deutschen Jugendliteraturpreis, die deutschen Autoren im Vergleich zu den Lizenzen zu wenig Berücksichtigung finden?
Salah Naoura:
Ich glaube, ich gehöre wohl zu den wenigen Übersetzern, die sich dieser Meinung uneingeschränkt anschließen. Wie bereits Paul Maar zu diesem Thema bemerkte: Der Deutsche Jugendliteraturpreis verstellt mit seiner Praxis zur Nominierung und Vergabe den Blick auf deutsche Nachwuchsautoren. Erfolgreiche Lizenztitel, die am Markt einen längeren Vorlauf haben, sind durch die gemeinsame Nominierung mit eben erst erschienenen deutschen Originalausgaben eindeutig im Vorteil. Daher plädiere ich für eine getrennte Nominierung und Preisvergabe. Was nicht heißen soll, dass Übersetzungen benachteiligt werden. Aber GLEICHE Chancen sollten Originale und Übersetzungen auf jeden Fall haben.
Der Beruf des Übersetzers findet nach wie vor in der Literatur viel zu wenig Beachtung, von der Bezahlung ganz zu schweigen. Nur selten findet man den Namen eines Übersetzers auf dem Buchcover. Ebenso gibt es nur wenige Auszeichnungen für diese wertvolle Arbeit.
Welche realistischen Veränderungen würden Sie sich hier für die nahe Zukunft von den Verlagen aber auch von den Journalisten wünschen?
Salah Naoura:
Zunächst einmal die konsequente Nennung des Übersetzers in allen Rezensionen, Werbematerialien, auf Websites und natürlich in den Büchern selbst. Viele Verlage nennen die Übersetzer nach wie vor nicht auf ihrer Website oder in der Vorschau. Und bei Rezensionen und Auszeichnungen würde ich mir wünschen, dass auf die Arbeit des Übersetzers mehr eingegangen wird. Beim DJLP zum Beispiel frage ich mich: Warum habe ich diesen Preis eigentlich letztes Jahr gewonnen? Mein Anteil an der deutschen Ausgabe dieses Buches wurde in der Jurybegründung mit keinem Wort erwähnt. (Dennoch freue ich mich natürlich sehr für meinen englischen Autor.)
In Ihrem aktuellen Buch mit dem herrlich Assoziation weckenden Titel „Hilfe! Ich will hier raus!“ hat der 10-jährige Henrik im Gegensatz zu seiner vier Jahre älteren Schwester wenig Plan, wofür er sich wirklich interessiert.
Ist es ein Problem unserer durchterminierten Zeit und Gesellschaft, dass wir Kinder nicht genug Raum lassen, sich auch einmal für nichts interessieren zu dürfen?
Salah Naoura:
Ich denke, dass in unserer schnelllebigen Zeit in der Tat zu wenig Raum für Muse und Muße bleibt, auch bei Erwachsenen (die es dann auch ihren Kindern nur schwer zugestehen können.) Und Nichtstun ist ja auch nicht nichts, sondern lässt der Seele Zeit, die eigenen Bedürfnisse zu erspüren. (Bei mir zumindest ist es so.) Ja, lassen wir den Kindern bitte unbedingt mehr Zeit, den eigenen Rhythmus und dadurch zu sich selbst zu finden! (Und fangen wir dazu gleich mal mit der Abschaffung des verrückten Turbo-Abiturs an.)
Oma Cordula ist eine herrlich schrullig-schräge Frau, bei der man nie sicher ist, ob sie nun tatsächlich ein wenig sonderbar ist oder einfach nur alle genial an der Nase herumführt.
Haben Sie so eine „Oma Cordula“ einmal kennengelernt?
Salah Naoura:
Oma Cordula ist, wie fast alle meine Figuren, ein Mischmasch aus mehreren Personen … Und eine ganz reale sonderbare Oma, die alle herumkommandiert, gehört auch dazu, ja. (Aber bei Oma Cordula finde ich gerade die Mischung so interessant.)
Gier und Habsucht sind die zentrale Themen in dieser Geschichte. Eigenschaften, die Beziehungen und Maßstäbe verändern. Würden Sie Ihren Garten umgraben, wenn Sie dort Goldbarren/einen Schatz vermuten würden?
Salah Naoura:
Schwierige Frage, denn ich werde wohl nie einen Garten haben. Ich hasse Gartenarbeit. Käme wohl auch auf meine finanzielle Situation an. (In meiner Zeit als Übersetzer hätte ich sofort zur Schaufel gegriffen.)
Sie schaffen es mit leichter Sprache und augenzwinkerndem Biss bei schwierigen Themen Kinder und Erwachsene den Spiegel vorzuhalten. Das gelingt Ihnen unter anderem, indem Sie alltägliche Situationen ins Absurde versetzen.
Wie schwer ist es, hier nicht in eine Klamotte zu verfallen und wie umgehen Sie das?
Salah Naoura:
Genau das ist die Klippe, die es zu umschiffen gilt. Ich versuche es mit Empathie und versetze mich so in die Figuren hinein, dass ihre Gefühle und Konflikte echt bleiben, ihr Handeln dagegen darf absurd sein. Wenn die Figuren authentisch wirken, kann es nicht ins Alberne kippen, hoffe ich.
Wird es auch einmal ein Buch für Jugendliche von Ihnen geben?
Salah Naoura:
Im Moment versuche ich mich bei Beltz & Gelberg an Fast-Jugendbüchern ab 11. (STAR war das erste.) Ich mag dieses schwierige Alter zwischen Kindheit und Jugend. Für Ältere suche ich noch nach Stoffen, in denen keine Magier und Drachen vorkommen, die aber auch nicht mit zentnerschwerem Seelendrama daherkommen. („Tschick“ ist für mich der Prototyp einer neuen, humorvollen Jugendliteratur mit realistischem Setting.)
Und auch für Sie die letzten drei ??? für „Bücher leben!“
Wann schreiben Sie? (Morgens, mittags, abends, immer)
Salah Naoura:
Am liebsten vormittags. Unter Zeitdruck auch (fast) den ganzen Tag.
Wie schreiben Sie? (Laptop, per Hand, PC)
Salah Naoura:
Auf dem Laptop. Und ich gehe viel spazieren und denke mir dabei die nächsten Kapitel aus …
Wo schreiben Sie? (Arbeitszimmer, Küchentisch, Baumhaums, überall)
Salah Naoura:
Früher zu Hause am Schreibtisch im Wohnzimmer. Inzwischen in einem Gemeinschaftsbüro, zusammen mit anderen KJL-Autoren.
Sabine Hoß