Interview mit Sigrid Zeevaert

Sigrid Zeevaert, 1960 in Aachen geboren, wollte ursprünglich Lehrerin werden. Als Teil ihrer Abschlussprüfung entstand ihr erstes Buch „Max, mein Bruder“, das nicht nur sofort einen Verlag fand sondern auch zahlreiche Auszeichnungen erhielt. Statt in die Schule zu gehen, wagte Sigrid Zeevaert den Schritt in die schriftstellerische Selbständigkeit. Ihre Bücher sind mehrfach ausgezeichnet und in vielen Sprachen übersetzt und widmen sich überwiegend dem Genre Kinderbuch. Dabei nimmt sie sich kritischen Themen an, hört in die Kinderseelen hinein und nimmt sie ernst. Ihre Wiedergabe des facettenreichen und manchmal auch widersprüchlichen Innenleben der Kinder ist mit einem liebenswerten Blick feinfühlig aber auch klar und eindeutig. Neben zahlreichen Büchern, Hörfunkbeiträgen und Kurzgeschichten hat Sigrid Zeevaert auch drei Kindertheaterstücke geschrieben, eines ihrer Bücher wurde nach ihrem eigenen Drehbuch verfilmt („Und ganz besonders Fabian“, ZDF 1993). 2006 wurde sie für ihre besonderen Leistungen auf dem Gebiet der neueren deutschen Kinder- und Jugendliteratur mit dem „Friedrich-Bödecker-Preis“ ausgezeichnet.

Das Foto wurde freundlicherweise von Frau Zeevaert zur Verfügung gestellt.

Frau Zeevaert, Sie haben ja zunächst auf Lehramt studiert und Ihr erstes Buch entstand als Teil der Abschlussprüfung und feierte sofort großen Erfolg. Hat Sie das zu der (mutigen) Entscheidung bewogen, Ihren Lehrerberuf „an den Nagel zu hängen“ um sich ganz dem Schreiben zu widmen?

Sigrid Zeevaert:

Die Entscheidung hat sich in den folgenden Jahren erst allmählich ergeben. Ich bin sozusagen in diesen Beruf hineingewachsen und habe in den ersten Jahren neben einem Aufbaustudium und einem Studentenjob mein professionelles Schreiben vertieft.

Welche Bücher haben Sie in Ihrer Kindheit und Jugend gelesen und geliebt – oder waren Sie gar keine Leseratte?

Sigrid Zeevaert:

Ich habe viel und sehr gern gelesen, manche Bücher viele Male. Astrid Lindgren spielte natürlich eine Rolle. Otfried Preußler. Erich Kästner, James Krüss, Ursula Wölfel, um nur die bekanntesten zu nennen.

Gibt es ein oder zwei Bücher, die Sie besonders geprägt haben, zu denen Sie eine besondere Beziehung haben und die sich in jedem Altersabschnitt wiedergelesen neu entdecken lassen?

Sigrid Zeevaert:

Nein, geprägt hat mich kein Buch besonders, aber ich erinnere mich noch an die Gritli-Bücher von Johanna Spyri, in denen immer etwas ausgespart war, sozusagen tabuisiert, nämlich der Tod, und die ich, sozusagen im Versuch, diesen aus kindlicher Sicht zu verstehen, immer wieder gelesen habe – und jedes Mal wieder nicht annähernd eine Antwort darin fand. Vielleicht hat mich das dazu gedrängt, im eigenen Schreiben diese Suche und Sehnsucht nach einem kindlichen Verstehen ernster zu nehmen als Johanna Spyri das damals tat.

Mit „Tage und Nächte“ und „Wer ich bin“ haben Sie zwei hervorragende Bücher für die Zielgruppe der Jugendlichen geschrieben. Ihr Hauptaugenmerk lag bisher beim Kinderbuch. Ist dies eine „zwangsläufige“ Entwicklung, die mit der persönlichen Entfaltung und der schriftstellerischen Arbeit im Kontext steht?

Sigrid Zeevaert:

Schreiben hat, wenn man es ernsthaft betreibt, immer mit persönlichen Lebensthemen und Fragen zu tun. Interessant und der eigentliche schöpferische Vorgang ist dann sicher der, diese Fragen aus dem persönlichen Kontext herauszulösen, sie sozusagen zu verwandeln zu etwas Neuem, Allgemeingültigeren.

Bei „Tage und Nächte“ entführen Sie den Leser sehr stimmungsvoll in das Leben und in die Atmosphäre von Paris. Sind persönliche Recherchen, Vorbereitungen vor Ort für Sie Grundvoraussetzung oder kam in diesem Fall eine besondere persönliche Beziehung, Liebe zu dieser Stadt entgegen?

Sigrid Zeevaert:

Die Recherche ist in diesem Fall sehr bedeutsam für mich und das Buch gewesen, die Orte, die ich in Paris vorgefunden habe, haben sozusagen dann auch den Handlungsverlauf mitbestimmt.

Wie unterscheidet sich bei Ihnen die Arbeit bei einem Jugendbuch von der eines Kinderbuchs?

Sigrid Zeevaert:

Die Arbeit an einem Jugendbuch ist sicher komplexer, die Sprache ist näher an meiner eigenen, was eine größere Anforderung bedeutet, sie trotzdem fiktiv zu gestalten.

Sie wehren sich dagegen, dass erzählende Literatur den Sinn habe, Berater in Lebensfragen zu sein. Ist es aber nicht doch so, (unabhängig vom Alter) dass der Leser das Gelesene mit seinem eigenen Erlebten reflektiert und auch versucht, positive Gedanken, Handlungen der Buchprotagonisten in sein eigenes Leben mit einzubeziehen – und somit das Buch dann doch zum „Berater“ wird?

Sigrid Zeevaert:

Natürlich reflektiert man als Leser das Gelesene und stellt eine Verbindung zum eigenen her, wenn dies subtil geschieht, ist es möglicherweise ein Vorgang, der sehr viel tiefer berührt und auch nicht so einfach und vordergründig Antworten gibt. Der Begriff des Beraters scheint mir in diesem Zusammenhang tatsächlich eher problematisch als hilfreich und er stimmt aus meiner Sicht insofern auch nicht, da ich beim Schreiben in erster Linie nicht an der Wirkung des Textes interessiert bin, sondern an der Stimmigkeit und der Komplexität und den Fragen und Figuren der Handlung. Was der Leser später damit macht, ist etwas, was sich in gewisser Weise meinem Blickfeld entzieht. Ich kann, wenn ich es mit Kindern zu tun habe, sorgsam sein, versuchen, den Blick zu weiten oder besser noch zu vertiefen und zu sensibilisieren für etwas. Mehr sollte ein guter Text, wie ich meine, nicht wollen.

Wie finden Sie Ihre Themen, wie beispielsweise die Suche nach dem „richtigen“, eigentlichen Zuhause in Ihrem aktuellen Kinderbuch „Oskars geheimer Ferienplan“ (Gerstenberg)?

Sigrid Zeevaert:

Ich schreibe nicht, indem ich versuche ein Thema zu behandeln, sondern das Thema ergibt sich eigentlich erst aus den Figuren, die plötzlich da sind, aus der Konstellation, die auf geheimnisvolle Weise und sicher nicht ganz zufällig entsteht, sondern mit meinen eigenen Fragen und Themen verbunden ist und daraus entspringt. Die Frage nach Geborgenheit, Loslösung und all dem, was mit dem Zuhause verbunden ist, ist eine, wie ich meine, zutiefst menschliche, elementare, die für uns alle nicht aufhört, eine zu sein. So kommt sie auch in mein Buch.

Können Sie sich vorstellen, Ihr Zuhause, Ihre Heimatstadt Aachen, zu verlassen und irgendwo anders Wurzeln zu schlagen?

Sigrid Zeevaert:

Natürlich.

Entwickeln sich Ihre Handlungen, Protagonisten mit dem Schreiben oder haben Sie schon von der ersten Idee einen festen Handlungs- und Charakterrahmen?

Sigrid Zeevaert:

Figuren und Handlung entwickeln und entfalten sich für mich erst im Schreiben, wobei das Spannendste zunächst ist, die Figuren überhaupt zum Leben zu erwecken, dann scheinen sie auch aus sich selbst heraus zu handeln.

Die Diskussion um Preise und Auszeichnungen in der Literatur bleibt auch in Fachkreisen kontrovers. Glauben Sie, dass Preise wie beispielsweise der „Deutsche Jugendliteraturpreis“ oder der „Friedrich-Bödecker-Preis“ in der Presse, im Buchhandel und nicht zuletzt beim Leser (Erwachsene wie auch die Zielgruppe) die nötige, entsprechende Aufmerksamkeit erfährt?

Sigrid Zeevaert:

Sicher nicht. Oberstes Kriterium scheint inzwischen ja die Verkäuflichkeit eines Buches zu sein, was bedeutet, dass viele Bücher, die literarisch interessant wären, gar nicht erst entstehen oder kaum eine Chance auf dem Markt haben. Im modernen Denken hat sich inzwischen der Glaube verankert, was sich durchsetzt, ist wohl auch gut. D. h. es werden vor allem solche Bücher als gut angesehen, die den entsprechenden Verkaufserfolg erzielen. Für eine Kultur, für ein kulturelles Gedächtnis, für Reflexion und den Blick auf das Außenstehende, das Schwache usw., das vielleicht nicht immer die Begeisterung der Massen verträgt, ist das ein großer Verlust von Vielfalt, von Feinheit und Tiefe. Da setzen Preise und Auszeichnungen immerhin schon einen anderen Akzent.

Wenn Sie sich eine (oder mehrere) Veränderung(en) in der aktuellen Buch- und Verlagsszene wünschen könnten, was würde ganz oben stehen?

Sigrid Zeevaert:

Die Unabhängigkeit der Verlage von den Gesetzen des Marktes.

Wann, wie und wo schreiben Sie? (morgens, mittags, abends, per Hand, PC, Laptop, Arbeitszimmer – überall)

Sigrid Zeevaert:

Dem Alltagsleben angepasst, d. h. vor allem morgens, aber auch am Nachmittag oder abends und dies meistens an meinem Laptop zu Hause.

Liebe Frau Zeevaert, ich bedanke mich ganz herzlich für Ihre Zeit und Antworten und wünsche Ihnen noch ganz viele tolle Ideen für weitere erfolgreiche Bücher.

 

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