Als Redakteur schreiben Sie journalistische Texte. Einen Roman zu schreiben bedeutet auch eine andere Weise des Herangehens und Erzählens. Was war für Sie die größte Herausforderung, Schwierigkeit beim Schreiben und was ist Ihnen leichtgefallen?
Na klar, das sind zwei Welten. Kurzstrecke versus Langstrecke, auf den Punkt schreiben, Fakten vermitteln auf der einen Seite, eine (fiktive) Geschichte erzählen mit einer ganz eigenen Wirklichkeit auf der anderen.
Beim Thema Recherche trafen sich beide Welten dann aber wieder.
Die Geschichte spielt ja in der Gegenwart, macht aber auch immer wieder Sprünge in die Vergangenheit, in die 1960er- und 1970er-Jahre in Hamburg. Dazu habe ich mir viele Dokumentationen angesehen, habe mich im Zeitungsarchiv vergraben, habe historische Dokumente über die verheerende Sturmflut des Jahres 1962 gelesen. Dieses Ereignis spielt zwar nur am Rand eine Rolle, aber der Teufel steckt auch hier eben im Detail.
Wie lange haben Sie an diesem Roman geschrieben und gab es Leser*innen zwischen 60 und 70 Jahren, denen Sie das Manuskript vorab zum Testlesen gaben?
Der gesamte Prozess erstreckte sich über ein Jahr, inklusive Recherche etc. Und nein, das Manuskript gab ich nur einmal aus der Hand, damit beherzt Schneisen in meinen Orthographie-Dschungel geschlagen werden konnten. 🙂
In Ihrer Geschichte stehen vier Frauen zwischen 60 und 70 Jahren im Focus. Die vier Frauen, insbesondere die 71-jährige Charlotte hält nach seinem Tod und über 50 Jahren Ehe mit Friedrich inne und schaut zurück auf ihr Leben und ihre Liebe. Mit sehr viel Mut, die mit Ängsten und auch Zweifeln begleitet werden, horcht sie in sich hinein und ist zum ersten Mal ehrlich zu sich selbst, bekennt sich ihrer wahren Liebe und beginnt einen völlig neuen Lebensabschnitt.
Haben Sie das Gefühl, dass Frauen insgesamt und die im oben beschriebenen Alter insbesondere, mutiger als Männer sind, ihr Leben für die letzte, überschaubare Zeit komplett neu aufzustellen?
Ich bewege mich da auf dünnem Eis, aber meine ganz persönliche Privatempirie ergab tatsächlich, dass Frauen in dieser Phase des Lebens neugieriger, agiler, mutiger sind. Ich weiß nicht, woher das kommt. Vielleicht sind Männer dieser Generation aber einfach erschöpft; froh, dass nach einem langen Arbeitsleben endlich einmal Ruhe einkehrt. Wie gesagt, das ist nicht das Ergebnis einer großen soziologischen Studie.
Was würden Sie einem Leser/einer Leserin auf die Frage antworten, warum Sie als Mann über vier ältere Frauen eine Geschichte geschrieben haben und nicht über vier Männer im gesetzten Alter?
Am Anfang war die Idee. Die Idee, eine Geschichte zu erzählen über Neuanfänge und darüber, wie wir leben wollen, wenn wir eben nicht mehr 30, 40 oder 50 Jahre alt sind. Für mich stand dann relativ schnell fest, dass Frauen dabei im Mittelpunkt stehen sollen, aus den bereits genannten Gründen.
Kennen Sie selber Frauen im Alter zwischen 60 und 70, die ihr bisheriges Leben durch einen bestimmten Auslöser, z.B. Tod eines Partners, einer Partnerin, in vielerlei Hinsicht umgekrempelt haben?
Na klar, jede Menge. Frauen, die mit weit über 60 anfingen, zu studieren oder zu reisen. Und die begannen, ob freiwillig oder nicht, ihre Träume und Wünsche aus fast vergessenen Zeiten nochmal herauszuholen und sich neu dazu verhalten. Die Geschichte, die ich erzähle, ist zwar rein fiktional und nicht aus wahren Begebenheiten zusammengeklöppelt, aber der Spirit findet sich dort wieder.
Auch wenn ich erst Mitte 50 bin hat mich diese Geschichte berührt, nicht nur, weil Charlotte mir durch ihren Mut, im hohen Alter endlich zu sich zu stehen, nahe war und ist. Ist es von daher ein Buch, das überwiegend die Frauen ab 50 Jahre anspricht, weil viele in einem ähnlichen Erziehungs- und gesellschaftlich fragwürdig moralischen Korsett aufgewachsen sind?
Ich hoffe doch, dass das Buch viele Generationen und Geschlechter anspricht. Denn Jede und Jeder wird älter und mit ähnlichen Themen konfrontiert. Und Fragen von Liebe, Sexualität, Krankheit und Tod stellen sich jeder Generation neu. Da kommt leider niemand drum herum. 🙂
Junge Frauen können meiner Meinung nach heute viel freier ihre Sexualität und Liebe offen leben, ihr Leben nach ihren Vorstellungen gestalten, als die Frauenfiguren in ihrem Roman zu ihrer Jugendzeit. Könnte man hoffnungsvoll sagen, dass die heute jungen Frauen in ca. 50 Jahren auf den Mut verzichten können, den Charlotte brauchte, um endlich bei sich anzukommen?
Für welche andere Entscheidungen wird die jüngere Generation ihrer Meinung nach vielleicht später diesen Mut brauchen?
Wie sagt man doch: Getting old is not for sissies, Älterwerden ist nichts für Feiglinge. Das müssen wir alle lernen, da müssen wir alle durch. Und dafür wird auch die jüngere Generation Mut brauchen.
Der Roman spielt in Hamburg, die Stadt, in der Sie auch leben – und in Dänemark. Sie beschreiben die Landschaft, die Menschen atmosphärisch und liebevoll. Haben Sie persönlich auch eine besondere Beziehung zu Dänemark und wenn ja, welche Bedeutung hat dieses Land für Sie?
In den 1970er-Jahren verbrachten wir regelmäßig unseren Sommerurlaub an der jütländischen Westküste, mit Pølser, Softeis und unendlich scheinenden Sandstränden. Die pure Idylle. Und auch wenn sich mein Blick im Laufe der Jahre etwas entromantisiert hat, bestimmte Dinge trage ich immer in meinem Herzen: das Licht in Skagen, dort, wo Nord- und Ostsee zusammenfließen, die laute Entspanntheit in den Bars von Kopenhagen, den Sonnenuntergang an der Westküste Bornholms und das Strandbad in Klampenborg, das auch im Roman vorkommt. Pølser und Softeis esse ich übrigens immer noch gerne.
Das Buch „Kamingeschichten“ von Tania Blixen, das man leider nur noch antiquarisch erhält, zieht sich als roter Faden durch die Beziehung zwischen Charlotte und Bente. Wie sind sie ausgerechnet auf dieses Buch als Bindeglied zwischen den beiden Frauen gekommen?
Ich mag die Geschichten von Karen Blixen/Tania Blixen/Isak Dinesen, Frau Blixen hatte ja viele Namen, sehr. Oft spielen sie in der Vergangenheit, aber strahlen bis weit in die Gegenwart, haben etwas Magisches an sich, das nicht von dieser Welt ist. Gleichzeitig nehmen sie immer wieder darauf Bezug. Das ist schon sehr besonders. Auch deshalb fand ich, dass sie gut zu Charlotte und Bente, deren gemeinsamer Geschichte, deren unterschiedlichen Leben, passen.
Es stimmt, das Buch Kamingeschichten gibt es nicht mehr, die Geschichten aber werden natürlich weiter aufgelegt.
Und zum Schluss auch für Sie die drei typischen „Bücher leben!“-Fragen:
Wann schreiben Sie? (morgens, mittags, abends, immer)
Gerne und vor allem an Tagen, an denen sonst nichts ansteht. Ich kann nicht mal eben zwei Stunden schreiben, dann den Balkon bepflanzen und anschließend mit dem Rad an der Elbe entlangfahren.
Wie schreiben Sie? (PC, per Hand, Laptop)
Auf dem Laptop.
Wo schreiben Sie? (Arbeitszimmer, Küchentisch, Baumhaus)
Ich habe einen Schreibplatz, nicht weit von der Wohnung entfernt. Das ist ein bisschen so, wie zur Arbeit zu gehen – und strukturiert den Tag.
Interview (c) Sabine Wagner
Eine Besprechung zu „Weite Sicht“ liest man hier.