Ulrike Rylance ist 1968 in Jena geboren und studierte Anglistik und Germanistik in Leipzig und London. Während ihres Studiums arbeitete sie als Assistant Teacher in Wales und Manchester. Nach dem Studium lebte sie zehn Jahre in London und arbeitete dort als Deutschlehrerin für Kinder und Erwachsene. Seit 2001 lebt sie mit ihrem Mann und zwei Töchtern in Seattle, USA. Unter dem Namen Ulrike Rylance schreibt sie Kinder- und Jugendbücher, so unter anderem „Emma im Knopfland“ oder „Frieda in der Flasche“ für Jacoby & Stuart (2011 und 2012), oder für dtv die Krimis „Villa des Schweigens“ (2011) und „Todesblüten“ (2012) wie auch die deutsch-englische Lovestory „Ein Date für Vier“ (2010). Für die Erwachsenen schreibt sie unter dem Namen Ulrike Herwig herrlich humorvolle Bücher mit einer Prise ernstem Hintersinn im Marion-von-Schröder-Verlag wie „Martha im Gepäck“ (2011) oder ab August 2012 „Mein Gott, Wanda“ (2012)
„Villa des Schweigens“ steht aktuell auf der Nominierungsliste des Hansjörg-Martin-Preis für den besten Kinder- und Jugendkriminalroman.
Für „Bücher leben!“ tauschte ich mit der sympathischen Autorin Fragen und Antworten quer über den großen Teich aus.
Ulrike, Du schreibst vom anderen Ende der Welt für Deutschland Kinder- und Jugendbücher wie auch sogenannte leichte Belletristik für den Erwachsenenbereich. Wie bist Du auf die Idee gekommen, Autorin zu werden und wie hast Du es so weit entfernt geschafft, hier in Deutschland die passenden Verlage zu finden?
Ulrike Rylance-Herwig:
Also gern geschrieben habe ich schon immer, bereits als Kind. Vor allem Gedichte, die hoffentlich mittlerweile verschollen sind, denn damit würde ich mich erpressbar machen. (Eins hieß „An Lenin“, ein anderes „Wenn die ersten Blümchen wieder blühen“ – mehr brauche ich wohl nicht zu sagen 🙂 ) Vor ein paar Jahren habe ich dann ernsthaft angefangen zu schreiben. Zuerst Kurzgeschichten, dann ein Kinderbuch, dann ein Jugendbuch, habe bei ein paar Anthologien mitgemacht und irgendwann in aufgeregter Erwartung eine Leseprobe an verschiedene Verlage geschickt. Das kostete aus den USA jedes Mal locker 20 Dollar pro Brief und als nach ca. zwanzig Briefen immer noch keine Antwort kam, dämmerte mir langsam, dass ich das nicht bis in alle Ewigkeit so weiter betreiben konnte. Daraufhin habe ich Agenten angeschrieben und zum Glück wenig später einen gefunden, der mich unter Vertrag nahm und von nun an (unter anderem) die Leseproben viel billiger von Deutschland aus verschicken konnte. So kam es dann bald zu meinem ersten Verlagsvertrag.
Hast Du regelmäßigen Austausch mit Kollegen- und Kolleginnen und wenn ja, wie?
Ulrike Rylance-Herwig:
Es lebe das Internet. Denn nur so ist es mir möglich, mit andern deutschen Autoren und Autorinnen in Kontakt zu kommen und zu bleiben – zum Beispiel in der Schreibwelt, im Montsegur Autorenforum oder bei www.kurzgeschichten.de. Das hilft schon sehr, besonders, wenn man auch mal rumnörgeln kann, weil man in einem Plot festhängt oder wenn man traurig ist, weil sich das eigene Buch nicht so wunderbar verkauft, wie man gehofft hat. Ich weiß gar nicht, was ich ohne diese virtuellen Freunde täte. Einsam vor mich hinschreiben und Brieftauben schicken wahrscheinlich … Ich kenne zwar ein paar amerikanische Autoren, aber die schreiben unter ganz anderen Bedingungen, das ist irgendwie nicht dasselbe.
Wie hältst Du Kontakt mit Deinen Lesern, kommst Du oft zu Lesungen nach Deutschland?
Ulrike Rylance-Herwig:
Bis jetzt habe ich nur Lesungen zur Leipziger Buchmesse gemacht, aber ich hoffe, dass es in Zukunft noch ein paar mehr werden und dass ich häufiger nach Deutschland kommen kann. Jetzt sind meine Kinder ja nicht mehr so kein.
Abgesehen bekomme ich aber oft E-Mails von jugendlichen Lesern, denen meine Bücher gefallen haben oder die etwas wissen möchten, oder Anfragen bei Facebook. Da freue ich mich immer sehr.
Deine Bücher zeichnen sich durch eine sehr gute Beobachtungsgabe für typisch menschelnde Verhaltensmuster mit hohem Wiedererkennungswert und einem herrlichen Humor mit ironischem Biss aus. Manches ist so typisch deutsch und man hat die eine oder andere Szene oder den einen oder anderen Charakter so oder zumindest so ähnlich schon erlebt, dass ich mich frage, wie konservierst Du so typisch deutsche Eigentümeleien, obwohl Du schon so viele Jahre nicht mehr hier lebst?
Ulrike Rylance-Herwig:
Ach, das geht einem nie verloren. Das ist ja auch in mir drin, das Deutsche. Ich lache ja nicht über meine Protagonisten, ich lache mit ihnen, viele Dialoge sind aus dem Leben kopiert, viele Verhaltensmuster mir selbst nicht unbekannt. Und natürlich sammle ich auf meinen Deutschlandreisen Eindrücke. Ich frische sozusagen meinen Vorrat an deutschen Charakteren wieder auf. Jeder Ausflug zu REWE ( der sture Rentner, der einem den Einkaufswagen in die Hacken kracht), jede Fahrt mit der Straßenbahn (der Verrückte, der immer „Halb acht! Es ist halb acht!“ schreit), die deutschen Schwimmbäder mit ihren Schildern („Unbedingt nackt duschen!“), aber auch die herrliche deutsche Direktheit und echte Anteilnahme (im Gegensatz zum höflich-oberflächlichen Geplänkel im anglo-amerikanischen Raum und dem ständigen gegenseitigen Versichern dass es einem „very well, thank you“ geht) – all das sorgt dafür, dass ich mich den deutschen Lesern immer nahe und verbunden fühle. Und abgesehen davon sind ja viele Situationen und Dialoge international. Ehekrach auf Deutsch ist auch nicht anders als Ehekrach auf Englisch. 🙂
Wäre es für Dich auch denkbar bzw. realistisch, für den amerikanischen Markt zu schreiben – und wenn ja, was käme dort mehr in Frage: Kinder- und Jugendliteratur oder Belletristik für Erwachsene?
Ulrike Rylance-Herwig:
Schwer zu sagen. Ich glaube eigentlich nicht, dass ich ein Buch komplett auf Englisch schreiben könnte, Deutsch ist einfach meine Muttersprache und ich finde da eine Ausdrucksebene, die ich im Englischen nie erreichen werde – egal wie lange ich hier lebe. Andererseits erscheint bald ein App für iPhone und iPad von mir unter dem schönen Namen Storyhaus. Dort werden meine Kindergeschichten auf Deutsch und Englisch und evtl. noch in anderen Sprachen zu lesen sein – man sollte also niemals nie sagen!
Worin bestehen aus Deiner Sicht die Hauptunterschiede zwischen der amerikanischen und deutschen Buch-/Verlagsszene?
Ulrike Rylance-Herwig:
Ich glaube, der größte Unterscheid besteht einfach darin, dass amerikanische (bzw. alle englischsprachige) Bücher es viel leichter haben, Lizenzverträge in anderen Ländern zu bekommen. Als deutscher Autor in den englischsprachigen Buchmarkt einzudringen, grenzt schon fast an ein Wunder. Eigentlich nur, wenn man schon in Deutschland ein totaler Bestseller war oder Martin Walser oder so heißt. Darum freut man sich umso mehr, wenn jemand es mal schafft, wie neulich Ursula Poznanski mit ihrem tollen „Erebos.“ Dabei sind die englischen Bücher ja nicht unbedingt um Lichtjahre besser. Insofern würde ich sagen, der Hauptunterschied besteht darin, dass man als amerikanischer Autor größere Chancen hat, richtig fett Geld mit seinen Büchern zu verdienen, besonders, wenn sich dann auch noch Hollywood für das Buch interessiert. Als deutscher Autor sollte man da wohl lieber Lottoscheine kaufen. Aber die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt. 🙂
Man hört immer wieder, der deutsche Buchmarkt und die Verlagsszene sei im Umbruch, man weiß nur noch nicht so genau, wohin die Reise geht.
Was würdest Du Dir von der „Szene“ an Veränderungen wünschen?
Ulrike Rylance-Herwig:
Ich würde mir wünschen, dass die größeren Verlage mehr Mut zum Außergewöhnlichen zeigen und nicht nur den Trends hinterher rennen. Der Satz „Das passt leider nicht in unser Verlagsprogramm“ hat wohl schon so manchen Autoren an die Grenzen seiner Geduld und guten Erziehung gebracht. Natürlich wollen die Leser immer wieder gern ähnliche Bücher, wie die Wanderhuren, Augenschlitzer und Vatikan-Krimis, die sie gerade gelesen haben – ich nehme mich da selbst nicht aus – aber doch nicht nur! Wenn man in die Buchhandlung geht, haut einen das Angebot bald um und doch geht man oft mit leeren Händen wieder hinaus, weil man etwas Besonderes gesucht und nicht gefunden hat.
Aber die kleinen, unabhängigen Verlage, die sich das Unkonventionelle trauen, die haben wiederum schwer zu kämpfen, ihre Bücher in die Buchhandlungen und damit an den Leser zu bekommen. Das ist schade und sollte sich ändern.
Wie ist die Deine Vorgehensweise beim Schreiben? Machst Du Dir von Beginn an ein gründliches Gerüst der Handlung und Personen oder entwickelt sich das meiste während des Schreibens?
Ulrike Rylance-Herwig:
Ich habe einen Plot, der im Prinzip wie ein Skelett ist. Dann noch eine Kapiteleinteilung, die manchmal aber auch nur aus einem Satz besteht, z.B. „Kapitel 10: Abgehackte Hand taucht in Badewanne auf, Freund der Schwester macht sich verdächtig.“ Der Rest entwickelt sich komplett beim Schreiben, da fällt mir das meiste erst ein. Manchmal entwickelt es sich dann auch in eine ganz andere Richtung als geplant, fast, als ob die Figuren ein Eigenleben entwickeln. Eine Nebenfigur rückt plötzlich viel stärker in den Vordergrund als geplant, jemand anderes wird gnadenlos rausgeschmissen usw., das ist manchmal fast ein bisschen gruslig.
Kennst Du Schreibblockaden und falls ja, was tust Du dagegen?
Ulrike Rylance-Herwig:
Ja, wer kennt die nicht. Da entwickelt man einen richtigen Hass auf seinen armen unschuldigen Laptop, weil der bloße Anblick einen daran erinnert, dass man ja eigentlich dringend was schreiben müsste, stattdessen aber die Küche aufräumt oder anfängt, die Wanderkarte aus dem Harz zu suchen, die man 1998 mal gekauft hat oder die Unterlagen auf dem Schreibtisch nach Größe und Farbe ordnet und, und, und … Das Einzige, was da hilft, ist Bestechung. Wenn du bis heute Abend fünf Sätze geschrieben hast, darfst du dein schönes Buch weiterlesen oder das letzte Stück Luftschokolade essen oder im Internet nach schicken Schuhen googeln. Der Trick ist natürlich dabei, dass man nach fünf Sätzen meist wieder im Text „drin“ ist und dann gar nicht mehr aufhören kann.
Wenn Du nach Deutschland kommst, hast Du sicher Bücher im Gepäck, wenn`s wieder zurück in die USA geht. Welche Autoren, welche Genre findet man in Deinem Koffer?
Ulrike Rylance-Herwig:
Alles querbeet. Also Kinderbücher, Thriller, Jugendbücher, historische Romane, Gegenwartsliteratur. Letztens habe ich mitgebracht: Mein böses Herz von Wulf Dorn, Das Lexikon der Lästigkeiten von Alexandra Maxreiner, Die Henkerin von Sabine Martin, Im Zeiten des abnehmenden Lichts von Eugen Ruge, Schweig still, süßer Mund von Janet Clark, Fünf von Ursula Poznanski, Vom Ende einer Geschichte von Julian Barnes.
Du hast zwei Töchter. Wachsen die zweisprachig auf – und lesen sie gerne, auch deutsche Bücher? (Auch Deine?)
Ulrike Rylance-Herwig:
Ja, meine Töchter wachsen zweisprachig auf, allerdings muss ich gestehen, dass es mit dem Deutsch lesen und schreiben ziemlich hapert. Beim Lesen hinkt das Verständnis dem Lebensalter hinterher – das heißt: Eigentlich lesen sie Romane für 14-Jährige auf Englisch, auf Deutsch langt es aber nur für Romane für 9-Jährige. Das ist natürlich wenig motivierend. Sprechen und verstehen können sie aber alles und das freut mich sehr. Da habe ich zumindest etwas geschafft. Ich zwinge sie allerdings auch nicht, meine Bücher zu lesen. Das hat aber, glaube ich, nichts mit der Sprache zu tun, sondern ist eine allgemeine Erscheinung, die ich auch schon von deutschen Kollegen gehört habe. Fast, als hätten die Kinder eine Hemmschwelle, das Buch der Mutter/ des Vaters zu lesen. Und im Moment ist sowieso alles was ich mache unendlich peinlich in ihren Augen.
Du lebst ja mittlerweile 11 Jahre in Seattle. Was vermisst Du am meisten aus „good old Germany“?
Ulrike Rylance-Herwig:
Wie viel Zeit hast du? 🙂 Schwimmbäder, Ausflugslokale, kleine Cafes, in denen man echte Porzellantassen bekommt und nicht nur Pappbecher, Buchläden, Schlösser und Burgen, mittelalterliche Stadtkerne, Saunas, Biergärten, in die man seine Kinder mitnehmen kann und nicht draußen vorm Zaun abstellen muss, kleine Kinos, urige Kneipen, Fußwege und Nahverkehr und die Tatsache, dass man innerhalb einiger Zug – oder Flugstunden in einem anderen europäischen Land sein kann und nicht nur in einem anderen Bundesstaat …
Aber ich will nicht meckern, in den USA gibt es ja auch viel Schönes, das mir dann wieder in Deutschland fehlen würde.
Auch für Dich meine berühmten letzten drei Fragen:
Wann schreibst Du? (morgens, mittags, abends, immer)
Ulrike Rylance-Herwig:
Morgens bis mittags. Nach 16.00 Uhr geht gar nichts mehr.
Wie schreibst Du? (PC, Laptop, per Hand)
Ulrike Rylance-Herwig:
Laptop. Per Hand kritzele ich nur Sachen in Notizbücher, die ich hinterher meistens nicht mehr lesen kann.
Wo schreibst Du? (Arbeitszimmer/Schreibtisch, Küchentisch, Jaccucci)
Ulrike Rylance-Herwig:
Arbeitszimmer. Oder manchmal auf der Couch. Oder bei Starbucks, das Gemurmel der Leute, das Gezische der Espressomaschinen und der Kaffeegeruch dort wirken irgendwie produktiv. Einmal hatte ich auch einen erstaunlich erfolgreichen Schreibtag im Supermarkt, als bei mir zu Hause gerade lärmende Reparaturen durchgeführt wurden. Im kleinen Cafe des Supermarkts zu sitzen und alle fünf Minuten per Lautsprecher über die Sonderangebote des Tages informiert zu werden („Fuji Äpfel heute nur $1.99 das Pfund!“), war überraschend stimulierend …
Liebe Ulrike, ich danke Dir ganz herzlich für Deine Zeit und ausführlichen Antworten – und wünsche Dir für Deine Bücher sowie alle weiteren Projekte ganz viel Erfolg! 🙂
Sabine Hoß