Die in Berlin geborene und in der Türkei, Nigeria, Indien, den USA und Deutschland aufgewachsene Ute Krause ist Autorin und Illustratorin. Nach einem Jahr Studium der Visuellen Kommunikation in Berlin wechselte sie als Fulbright-Stipendiatin in New York an die Münchener Filmhochschule.
Zu ihren vielseitigen Arbeiten gehören Kurz- und Dokumentarfilme, Cartoons für den „Stern“ und Drehbücher. Seit 1985 hat sie 16 Bilderbücher veröffentlicht und vier Kinderromane geschrieben und über 400 Bilder- und Kinderbücher illustriert. Darüber hinaus werden ihre Bücher weltweit in viele verschiedene Sprachen übersetzt.
Ihre Arbeit wurde vielfach ausgezeichnet, u.a. von der Stiftung Buchkunst, der niederländischen Kinderjury, außerdem wurde sie für den Jugendliteraturpreis und den Rattenfänger-Preis der Stadt Hameln nominiert.
Zu Ihrem aktuellen Buch „Die Muskeltiere“ habe ich die sympathische Autorin über Käse, Freundschaft und anderem zwischen Buch und Deckel befragt.
Frau Krause, was ist Ihre Lieblingskäsesorte?
Ute Krause:
Ich liebe einen guten Gruyère Réeserve; Picandou mit Tomaten, Zitronenmelisse, Öl, Essig und kleinen schwarzen Oliven ist sehr lecker! Wiederum ein guter Camembert ist auch nicht zu verachten….
Sie sind in vielen Ländern aufgewachsen, leben und arbeiten jetzt in Hamburg. Ist es eine kleine Liebeserklärung an Ihre Wahlheimat, dass Sie mit dem besonderen Charme des Hamburgerischen von Pomme de Terre und seine vier Freunde in dieser wunderbaren Stadt angesiedelt haben?
Ute Krause:
Das muß ich leider verneinen, auch wenn ich die Stadt sehr mag, wie man sieht. Sonst hätte ich den Muskeltieren einen anderen Heimathafen gegeben. Ich werde allerdings öfters wegen meines Akzents gefragt, ob ich aus Hamburg stamme. Also irgendeine Verbindung scheint es zu geben.
Was haben was haben die Muskeltiere, was die Musketiere nicht haben?
Ute Krause:
Zugang zu den besten Käsesorten ganz Hamburgs.
Was war bei der Geschichte zuerst da – die Idee zu den Bildern/Illustrationen oder der Text?
Ute Krause:
Nein, der Weg zur Geschichte war diesmal recht ungewöhnlich, denn zuerst war der Buchtitel da. Als mein Sohn klein war, sprach er immer von den Muskeltieren. Das hat mir so gut gefallen, dass ich dachte, so soll mein nächstes Buch heißen. Da es aber gar nicht so einfach ist, eine Geschichte auf einen Titel hin zu erfinden, hat es drei Jahre gedauert, bis die Geschichte endlich in meinem Kopf gereift ist. (Dazwischen hat sich der Minus Drei einfach eingeschlichen.)
„Einer für alle, alle für einen“ – ein wunderschöner Freundschaftscodex, der aber heutzutage eher „Einer für alle, jeder für sich“ gelebt wird?
Ute Krause:
Leider. Aber Picandou war ja am Anfang auch ein ziemlicher lieber-für-sich-sein Geselle. Er hat erst im Lauf der Geschichte gemerkt, wie viel schöner es ist, füreinander da zu sein und gemeinsam die Gefahren des Lebens zu meistern.
Es ist kein Geheimnis, dass es immer mehr Wohnungen ohne Bücher gibt, dafür gibt es heute besondere Spieltablets schon für die Kleinsten.
Glauben Sie an eine Zukunft mit (Bilder-)Bücher und Vorlesen?
Ute Krause:
Unbedingt! Wenn Eltern ihren Kindern vorlesen, entsteht doch eine ganz besondere Atmosphäre. Was gibt es schöneres als an kalten Winterabenden gemeinsam im Bett oder auf der Couch zu lümmeln und jemand liest vor. Ein Tablet kann die vertraute Stimme der vorlesenden Eltern nicht ersetzen. Meine Eltern haben uns jeden Abend vorgelesen und ich habe meinem Sohn vorgelesen, das verbindet einfach und regt natürlich auch die Phantasie viel mehr an, als wenn man alles auf dem Tablet präsentiert bekommt.
Sie gehen oft auf Lesereise und haben direkten Kontakt mit der jungen Zielgruppe.
Welche Erfahrungen machen Sie hier, was die Fähigkeit des Zuhörens und der Konzentration angeht?
Ute Krause:
Sagen wir es mal so, ich merke, bei einer Lesung schnell, welchen Kinder zu Hause vorgelesen wird und welchen nicht. Die Kinder, denen nicht vorgelesen wird, werden unruhig, selbst wenn sie die Geschichte interessiert. Sie haben einfach nicht gelernt, sich lange auf eine Sache zu konzentrieren. Wer die schnellen Reize von Fernsehbildern und Apps gewöhnt ist, für den ist es schwer, die innere Ruhe zu finden, die man beim Zuhören braucht. Den Kindern wiederum, denen vorgelesen wird, sieht man an den Augen an, wie sie in die Geschichte eintauchen. Sie haben die Fähigkeit, sich zu vertiefen.
Wie oft habe ich Kinder bei Lesungen, die zu Hause kein eigenes Buch haben, die aber begeistert sind und sich jetzt das Buch wünschen, aus dem ich gelesen habe. Wäre ich sehr reich, würde ich jedem Kind sofort eins schenken.
Leider dürfen bei den meisten Lesungen keine Bücher verkauft werden, was ich sehr schade finde. Zwei Packungen Zigaretten oder eine DVD kosten so viel oder mehr wie ein Buch. Für das letztere ist das Geld, wird mir gesagt, in den ärmeren Familien nicht da. Ich glaube aber, das hat auch etwas mit Wertschätzung zu tun. Meine Großeltern hatten nie viel Geld und sind nach der fünften Klasse von der Schule abgegangen, dennoch war immer das Geld für ein gutes Buch da. Meine Eltern sind in der nächsten Generation zu Lesern geworden und zur Universität gegangen.
Glauben Sie, dass der Deutsche Jugendliteraturpreis außerhalb der abgesteckten Szene Autoren und Verlag auch bei dem Endverbraucher, dem Leser, heute noch eine Bedeutung hat bzw. präsent ist?
Ute Krause:
Mit der Frage stechen Sie in ein Hornissennest. 500 Autoren und Autorinnen haben unterschrieben, dass wir uns hier eine Veränderung wünschen. Viele Verleger sehen es ähnlich, nur die Jury weicht von ihrem Standpunkt nicht ab, dass alles so bleiben soll wie bisher.
Der Preis wurde 1956 mit dem Gedanken gegründet, möglichst viel an internationaler Kinderliteratur nach Deutschland zu bringen. Das war damals genau der richtige Ansatz, doch die Zeiten haben sich inzwischen sehr geändert. Der wirtschaftliche Aspekt ist, leider noch viel wichtiger geworden als früher. Das liegt auch daran, dass inzwischen um die 7000 Kinderbücher im Jahr in Deutschland erscheinen und die Konkurrenz auf dem Markt viel größer geworden ist.
Amerikanische Werke, die für hohe Summen eingekauft werden, müssen die Vorschüsse wieder einspielen und werden mit viel Geld beworben. Büchertische bei den großen Ketten werden dafür eingekauft und systematisches Marketing betrieben. Das kleine aber feine Buch, das dieses Budget nicht bekommt, bleibt auf der Strecke. Ich frage mich, wie die Jury bei 7000 Büchern wirklich alles lesen soll, was an guter Literatur im Jahr geschrieben wird.
Außerdem hat ja in der Kinderliteratur, wie in den anderen Medien auch, die Amerikanisierung stark zugenommen. Die Kinder lesen von Highschools, anstatt über die Schule um die Ecke. Die Franzosen, Engländer und Amerikaner u.a. vergeben Ihre Jugendliteraturpreise nur an Werke, die in ihrem Land erschienen sind, fördern damit Bücher, die in ihrer Kultur spielen und auch die eigenen Autoren. Wir wollen das aus irgendeinem Grund nicht. 75% der Kinderbücher, die für den Preis nominiert werden, sind aus dem Ausland. Die nominierten Bilderbücher sind oft künstlerisch sehr anspruchsvoll, gehen aber meist an der Zielgruppe, den kleinen Lesern, ziemlich vorbei. Das höre ich sehr oft von Buchhändlern, Kindergärtnerinnen und Lehrern und leider höre ich auch, dass die Nominierung deswegen nicht unbedingt eine Empfehlung für das Buch ist. Und das ist eigentlich sehr schade.
Die Zahl der mindestens zweimal jährlich erscheinenden Novitäten auf dem Buchmarkt, ebenso beim Kinder- und Jugendbuch, ist mittlerweile unüberschaubar, hinzu kommen viele Lizenz-Titel. Der Markt ist übersatt.
Wie sehen Sie diese Entwicklung für die deutschen Autoren/Illustratoren?
Ute Krause:
Siehe oben.
Gibt es so etwas wie ein „Traumprojekt“ für Sie?
Ute Krause:
Ich habe das große Glück, dass ich endlich fast nur meine eigenen Bücher schreibe und illustriere – und das macht mich sehr glücklich.
Ein Traumprojekt: Hm, wir Autoren und Autorinnen sehen sehr viele Schulen in ganz Deutschland von innen. Wir sprechen oft mit Lehrern, weil uns, so wie vielen unter ihnen, das Wohl der Kinder am Herzen liegt. Ich höre und sehe Dinge, die oft herzzerreißend sind. Ich würde mir wünschen, dass die Politiker, die die Schulgesetze machen, mal mit uns reisen oder mit uns sprechen. Vieles muß in der deutschen Bildungspolitik dringend geändert werden. Die Schulen müssen wieder kleiner werden, denn heutzutage sind sie oft die zweite Familie. Ein Gefühl der Schulgemeinschaft muss gestärkt werden. Ich war in Indien in einer Schule, die nach englischem Modell (wie bei Harry Potter) in Häuser eingeteilt war. In den verschiedensten Disziplinen gab es Wettbewerbe (Zeichnen, Schreiben, Naturwissenschaften, Sport, Theater, usw.) und wirklich jedes Kind hatte etwas. Worin es sein Talent entdeckte, etwas, in dem es sehr gut war. Früh wurden so Talente und Leidenschaften entdeckt und gefördert, die später in den Beruf führten. Die Schule hatte ein Parlament, das von allen Kindern gewählt wurde. Die Kleinen schauten bewundernd zu den Großen auf und die Großen kümmerten sich um die Kleinen. So entstand ein starkes Gemeinschaftsgefühl. Man war stolz auf seine Schule und ging gerne dort hin. Das würde ich mir öfters für Schulen wünschen.
Und zum Schluss die berühmten drei letzten „Bücher leben!“-Fragen:
Wann schreiben Sie? (Morgens, mittags, abends, immer)
Ute Krause:
Am liebsten morgens gleich nach dem Aufstehen.
Wie schreiben Sie? (Laptop, per Hand, PC)
Ute Krause:
Am liebsten im Garten auf dem Laptop. Wichtig ist, dass ich wirklich ungestört bin. Eine Unterbrechung, und der Faden ist zerrissen.
Wo schreiben Sie? (Arbeitszimmer, Küchentisch, Baumhaus, überall)
Ute Krause:
Im Sommer auf dem Liegestuhl, im Winter auf der Couch.
Sabine Hoß